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Die Tiguriner (lateinisch Tigurini, altgriechisch Τιγουρίνοι) waren einer der vier Gaue (pagi) des keltischen Helvetier-Stammes.
Geschichte
Das Siedlungsgebiet der Tiguriner lag im Gebiet um Aventicum in der Westschweiz. Tigurini entstammt der gallischen Sprache und bedeutet «Herren» (irisch tigern) respektive «Herr» (walisisch teyrn).
Historisch in Erscheinung treten die Tiguriner und die Tougener mit den Kimbern, mit denen sie im Rahmen der Kimbernkriege das südliche Gallien verwüsteten. 107 v. Chr. gelangten sie in das Gebiet der Volker im heutigen Südfrankreich und schlugen unter der Führung von Divico im Gebiet der Nitiobrogen[1] das römische Heer des Konsuls Lucius Cassius Longinus und dessen Legaten Lucius Calpurnius Piso Caesoninus. Lucius Cassius wurde zusammen mit einem Grossteil der Truppen von den Kimbern getötet, sie nahmen Geiseln und zwangen die Gefangenen unter das Joch, wie Caesar überliefert. In der erhaltenen Epitome von Livius’ Geschichtswerk Ab urbe condita wird diese Episode jedoch nicht erwähnt.[2] Der genaue Ort der Schlacht ist nicht überliefert, er dürfte aber an der Garonne bei Agen gelegen sein, weshalb gemeinhin von der Schlacht bei Agen die Rede ist. Bei Orange schlugen die Tiguriner wieder gemeinsam mit den anderen Stämmen 105 v. Chr. ein weiteres römisches Heer.
Um 102/101 v. Chr. folgten die Tiguriner den Kimbern auf ihrem Zug über die Alpen, drangen aber nicht in Italien ein, sondern verblieben beim Brennerpass.[3] Nachdem die Kimbern 101 v. Chr. in der Poebene bei Vercellae von den Truppen des Gaius Marius und des Quintus Lutatius Catulus besiegt wurden, kehrten die Tiguriner in ihre Heimat zurück. Die Tiguriner konnten der Vernichtung entgehen und zogen mit ihrer Beute wieder nach Norden. Die Tiguriner beziehungsweise die Helvetier blieben danach im kollektiven Gedächtnis Roms als starker und bedrohlicher keltischer Stamm erhalten.[4]
58 v. Chr. nahmen sie an dem Zug der Helvetier in das südliche Gallien teil, wurden von den Truppen Caesars noch vor der Schlacht bei Bibracte an der Saône geschlagen und zur Rückkehr in das Gebiet der heutigen Schweiz gezwungen.[5]
Tigurum als neulateinischer Name der Stadt Zürich
Ab dem frühen 16. Jahrhundert brachten humanistische Gelehrte die Tiguriner, welche heldenhaft die Römer besiegt hatten, in Verbindung mit dem Namen der Stadt Zürich (in römischer Zeit: Turicum). In neulateinischen Texten (z. B. auf Münzen,[6] siehe Abbildung) wurde Zürich Tigurum genannt und als Adjektiv («Zürcher») wurde Tigurinus üblich.[7] Der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli verwendete in seinen Schriften konsequent den Stadtnamen Tigurum und die Adjektive Tigurinus oder Tigurensis.[8] Die lateinische Übersetzung für das Zürcher Territorium, den «Zürichgow», lautete nun pagus Tigurinus (wörtlich: «das Tiguriner Stammesgebiet»).[9]
Auch international wurde Tigurinus als lateinische Übersetzung von «Zürcher» verwendet; so wird z. B. der Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer in einem seiner Werke, das 1708 für die Royal Society in London veröffentlicht wurde, als Med(icinae) D(octor) Helvetio-Tigurinus vorgestellt, als «Doktor der Medizin aus Zürich in der Schweiz».[10]
Die Inschrift auf dem Grabstein des Lucius Aelius Urbicus – entdeckt im Jahr 1747 auf dem Lindenhof – bewies schliesslich, dass der römische Ortsname Turicum gelautet hatte und das Adjektiv Turicensis. In der Folge wurden Tigurum und Tigurinus seltener gebraucht; gegen Ende des 18. Jahrhunderts kamen diese humanistischen Neuschöpfungen vollends aus der Mode.[11]
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Moneta reipublicae Tigurinae:
«Münze der Republik Zürich» -
Tiguri: «(gedruckt) in Zürich»
(Werk von Justus Jonas, 1523)
Literatur
- Andres Furger: Die Helvetier: Kulturgeschichte eines Keltenvolkes. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 1984, ISBN 3-85823-565-2.
- Ernst Howald, Ernst Meyer: Die Römische Schweiz. Zürich 1940.
- Gilbert Kaenel: Tiguriner. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Gilbert Kaenel: Agen, Schlacht bei. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Ernst Meyer: Tigurini. In: Der Kleine Pauly (KlP). Band 5, Stuttgart 1975, Sp. 829.
- Theodor Mommsen: Die Schweiz in römischer Zeit. 1854.
Weblinks
- De bello Gallico: Niederlage der Tiguriner. Verhandlungen und erste Feindberührung mit den Helvetiern.
- Tiguriner. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 15, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 709.
Anmerkungen
- ↑ Titus Livius: Periochae. 65.
- ↑ Dort heißt es nur: «L. Cassius cos. a Tigurinis Gallis, pago Helvetiorum, qui a civitate secesserant, in finibus Nitiobrogum cum exercitu caesus est. Milites, qui ex ea caede superaverant, obsidibus datis et dimidia rerum omnium parte, ut incolumes dimitterentur, cum hostibus pacti sunt.» Livius, Periochae. 61–65, LXV.
- ↑ Florus: Epitoma de Tito Livo. 1,38,18.
- ↑ Nach Furger-Gunti 1984, S. 75–77.
- ↑ Appian: Römische Geschichte. 1,8: Die Truppen sollen von Cäsars Legaten T. Attius Labienus befehligt worden sein; Caesar sich aber den Sieg über die Tiguriner zugeschrieben haben, um sich als ‚Rächer‘ der römischen Niederlage von 107 v. Chr. darzustellen.
- ↑ Eines der frühesten Beispiele ist MONETA NOVA REIPVBLICAE TIGVRINAE auf einer 2-Taler-Münze von 1651. Im 16. Jahrhundert war noch das «echt antike» Adjektiv Turicensis verwendet worden (oft Thuricensis geschrieben), z. B. MON(eta) NO(va) TVRICENSIS CIVIT(atis) IMPER(ialis) («neue Münze der Reichsstadt Zürich») auf einem Taler von 1560.
- ↑ Suche nach der Angabe des Druckortes Tiguri («in Zürich», lateinische Lokativ-Form zu Tigurum) und Tigurinus in e-rara.ch. Die frühesten gefundenen Beispiele stammen aus den Jahren 1523 bzw. 1518. – Die frühesten Werke mit Angabe des Druckorts Tiguri erschienen alle im Verlag Christoph Froschauer; ab 1551 verwendeten auch Rudolf Wyssenbach bzw. Andreas Gessner/Rudolf Wyssenbach den Namen (z. B. Wyssenbach 1551, doi:10.3931/e-rara-675, Gessner/Wyssenbach 1553, doi:10.3931/e-rara-666).
- ↑ Friedrich Salomon Vögelin: Zürich in römischer Zeit. Zürich 1890, S. 92 (online).
- ↑ Zum Beispiel auf einer Karte, die 1660 in Paris gedruckt wurde: Tigurini (‹Tiguriner›) sive (‹oder›) Tigurinus pagus in Helvetiis – le Zurichgow en Suisse… (siehe Abbildung in Wikimedia Commons). Die Bildbeschriftung einer Radierung der Stadt Zürich von 1581 lautet: «TIGVRUM, sive Turegum, Caesari, ut plerique existimant, Tigurinus pagus, vulgo Zürÿch; urbs in Helvetijs ut vetustissima, ita maxima, et omnium celeberrima.» «TIGVRUM, oder Turegum, für Caesar, wie die meisten glauben, Tigurinus pagus, gemeinhin Zürÿch; die älteste und grösste Stadt in der Schweiz, und die berühmteste von allen.» (Siehe Abbildung.)
- ↑ Siehe Abbildung in Wikimedia Commons. Das Imprimatur (die Druckfreigabe) stammt von Isaac Newton persönlich, der damals Präsident der Royal Society war. (Digitalisat: doi:10.3931/e-rara-22610.)
- ↑ In Münzlegenden wurde um 1770 von Tigurinae zurück zu Turicensis gewechselt, z. B. 1767 noch DUCATUS REIPUBLICAE TIGURINAE, 1773 dann MONETA REIPUBLICAE TURICENSIS. Eines der spätesten Beispiele für Bücher mit Angabe des Druckortes Tiguri («in Zürich») stammt aus dem Jahr 1796: doi:10.3931/e-rara-86762.