Als Ehernes Gesetz der Oligarchie (ehern: „bronzen“, „eisern“, im Sinne von hart, ewig während[1]; Oligarchie: griechisch für „Herrschaft Weniger“, im Sinne der verfehlten Form) bezeichnet man eine Theorie des deutsch-italienischen Soziologen Robert Michels, die er in seinen 1907 und 1911 vorgelegten Werken zur Demokratieentwicklung beschrieb. Danach bilden Parteien und andere Großgruppen immer bürokratische Organisationen heraus, deren Spitzen sich zu oligarchischen Machteliten entwickeln.

Kernaussage

Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie (1911) – Synthese: Die oligarchischen Tendenzen der Organisation.[2]

1911 veröffentlichte Robert Michels sein Hauptwerk Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens.[3] In dieser Feldstudie über die deutsche Arbeiterbewegung des Fin de Siècle, insbesondere die Sozialdemokratie, untersuchte er vergleichend mit ihren internationalen Entsprechungen die Entwicklung von Organisationen und deren Strukturen. Dabei betrachtete er detailliert und umfangreich sowohl formale Bürokratie- als auch informelle Machtstrukturen.

Als Fazit leitete Michels „das soziologische Grundgesetz“ ab, dem alle im weitesten Sinne politischen Parteien bedingungslos unterworfen seien:[4]

„Die Organisation ist die Mutter der Herrschaft der Gewählten über die Wähler, der Beauftragten über die Auftraggeber, der Delegierten über die Delegierenden.“

Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie (1911)[4]

Giovanni Sartori sieht 1992 Michels „Gesetz im großen und ganzen immer noch richtig, wenn auch bloß als ‚bronzenes Gesetz‘“.[5] Robert Michels stellte in Folge die Frage, ob Demokratie überhaupt möglich sei.[5] Seine zentrale These besagt, dass bereits die Bildung und Entwicklung der Organisation selbst zerstörender Faktor der Demokratie sei und diese zur Oligarchie werden lasse: „Wer Organisation sagt, sagt Tendenz zur Oligarchie … . Die Maschinerie der Organisation … kehrt das Verhältnis des Führers zur Masse in sein Gegenteil um. … Mit zunehmender Organisation ist die Demokratie im Schwinden begriffen.“[5] Diese Entwicklung könne weder vermieden noch angehalten werden.[5]

Seine zentralen Thesen besagen zudem, dass Führungsgruppen in Organisationen zunehmend an eigenen Interessen und persönlichem Nutzen – insbesondere sichergestellt durch den Erhalt der Organisation – interessiert sind. Die einstigen Ziele der Gruppe, an deren Spitze sie stehen, treten so in den Hintergrund. Führungsgruppen versuchen demnach, die soziale Basis, die „Massen“, zu lenken, selbst dann, wenn die herrschende Ideologie dieser Gruppierungen das Gegenteil anstrebt.

„Das Führertum ist eine notwendige Erscheinung jeder Form gesellschaftlichen Lebens. Es gehört deshalb nicht in den Bereich der Wissenschaft zu untersuchen, ob es von Nutzen oder von Übel sei … . Wohl aber ist es von wissenschaftlichem wie von praktischem Werte festzustellen, daß das Führertum in seiner Entwicklung sich nicht mit den wesentlichen Postulaten der Demokratie verträgt.“

Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie (1911)[5]

Robert Michels stellte sein Gesetz auf der Tatsachenebene auf, er gilt als modellhafter Vertreter der realistischen Schule der Demokratie.[6] Damit hat er eine nunmehr schon über ein Jahrhundert währende Forschung inspiriert. Nach ihrer letzten Renaissance Ende der 1990er-Jahre im Zuge des Neoinstitutionalismus stehen Michels Thesen im Zentrum der sozialwissenschaftlichen Forschung und werden in unterschiedlichen Forschungsfeldern diskutiert.

Ideengeschichte

Michels veröffentlichte die ersten Arbeiten zum Ehernen Gesetz 1907,[7] als er der Sozialistischen Internationale und den sozialdemokratischen Parteien Deutschlands und Italiens den Rücken gekehrt hatte (später wandte er sich dem fascismo Mussolinis zu).[8] Innerhalb der Marburger Ortsgruppe der SPD war Michels aktiv gewesen, hatte aber nie eine Führungsposition bekleidet, wenngleich er als Intellektueller in der Partei angesehen war.[9] Dabei verfolgte Michels immer mehr eine akademische als eine politische Karriere und war ideologisch näher an der französischen Syndikalismusbewegung verortet, die er mit seinem Freund Hubert Lagardelle unterstützte.[9] Die Theorie erschien 1911 in Michels heute klassischem Werk zur Parteienforschung, Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, in dem die organisatorische Struktur in der SPD analysiert wird. Das Werk kann als Polemik gegen den Anti-Syndikalismus der SPD verstanden werden.[10] Gewidmet ist die Untersuchung Max Weber, der einen wesentlichen Einfluss auf Michels Denken ausübte.[11] Darüber hinaus baute er im Besonderen auf Arbeiten Gaetano Moscas zur Politischen Klasse auf, dem er seine Desillusionierung vom Syndikalismus maßgeblich mitverdankte und dessen Ideen von Führerschaft und Geführten er weitgehend übernahm.[12] Michels Demokratieverständnis basiert dabei auf dem direkt-demokratischen Modell in Rousseaus Gesellschaftsvertrag;[13] sein Fernziel ist die klassenlose Gesellschaft.[14]

Michels zentrale These zur Politik seiner Zeit spiegelt Max Webers „stahlhartes Gehäuse“ des Kapitalismus in der Wirtschaft wider; beide als „ehern“ titulierte Phänomene wurden später in den 68er-Bewegungen einer scharfen Kritik unterzogen und bekämpft.[15]

Die drei Bausteine des ehernen Gesetzes

Michels stellte sein Ehernes Gesetz auf Basis von detaillierten Studien über konkrete Parteien und Gewerkschaften auf,[16] erst spätere Forschungen weiteten den Geltungsbereich auf andere Organisationen aus.

Michels’ Ehernes Gesetz kann in drei aufeinander aufbauende Hypothesen unterteilt werden:[17]

  1. Bürokratie ist unvermeidlich – Große Organisationen bilden immer bürokratische Strukturen aus, wegen des Bedarfs an Effizienz, der eine hierarchische Arbeitsteilung erfordert.
  2. Mit zunehmender Bürokratie nimmt die Macht zu – Diese konzentriert sich unter anderem wegen der „Inkompetenz“ der Massen mit Wissen und Ressourcen in der professionellen Führung, einer Machtelite.
  3. Mit zunehmender Machtkonzentration erfolgt die Korrumpierung der Macht – Sie wird nach ihrer Konzentration ihre Autorität auch gegen die Interessen ihrer Mitglieder verteidigen, nötigenfalls mit undemokratischen Methoden.[17]

Diese drei Hypothesen werden nachfolgend ausgeführt:

Große Organisationen führen zu Bürokratie

Voraussetzung für Demokratie in Staaten oder politischen Parteien ist, dass die Entscheidungsfindung beim Volk oder den Mitgliedern liegt. Bei größeren Gruppierungen bildet sich dazu eine Organisation heraus, die die Aufgabe der Koordination übernimmt. Begründet wird dies bei Michels vor allem mit kommunikationstechnischen Bedingungen, die es unmöglich machen würden, demokratische Entscheidungsfindung in größeren Gruppen zu ermöglichen; Michels vermutet dabei die Größe direkt-demokratisch organisierbarer Gruppen bei maximal 1.000 bis 10.000 Personen;[18] Eine Massenpartei wie die SPD, die schon 1905 im Großraum Berlin 90.000 Mitglieder hatte, könne also nicht mehr direkt-demokratisch geführt werden.[19]

Größere Gruppen benötigen zum effizienten Handeln eine Vertretungsebene und eine Organisation der Gruppeninteressen durch Experten, also eine Bürokratie, und damit einhergehend eine weitgehende Spezialisierung, die eine Ausbildung der Amtsinhaber erfordert, die durch ihr erworbenes Fach- und Organisations-Wissen schwer ersetzbare und damit dauerhafte Pfeiler der Organisation werden.[20] In der Moderne bewegt sich die Kommunikation weg von Treffen von Angesicht zu Angesicht hin zu den Massenmedien, welche zu Michels Zeit von Zeitungen dominiert waren.[20]

Bürokratie führt zu Machtkonzentration

Das Delegieren von Aufgaben sei in jeder Organisation notwendig. Dieses Delegieren führe zur Bildung eines Bildungsvorsprungs von Organisations- und Fachwissen einer Führungsschicht, die solcherart einen Machtvorsprung erlange. Basis oligarchischer Macht sind also nicht nur die hierarchie-immanenten Zwangsmächte, sondern vor allem auch Wissensmonopole.[21]

Michels Oligarchiebegriff bleibt dabei mehrdeutig.[22] Kennzeichen der Oligarchie sind für ihn sozialer Status, Macht, Wissen und finanzielle Ressourcen.[16]

Machtkonzentration führt zur Korrumpierung

Die Etablierung einer Parteiorganisation führt nach Michels zwangsläufig zu einem Verlust der inner-organisatorischen Demokratie und zu einem Verlust der Dynamik der Gruppe infolge der Trägheit bürokratischer Apparate. Darüber hinaus würde Konservativismus gefördert, der sich zudem noch verselbstständige. „So wird die Organisation von einem Mittel zum Zweck zu einem Selbstzweck“.[23] Dies führe zu einer inneren Spaltung der Organisation und einer Entfremdung der Organisationselite von den Mitgliedern.

Theoretische Rezeption

Michels Thesen haben nunmehr ein Jahrhundert theoretischer und empirischer Forschung inspiriert. Ungeachtet aller Kritik gilt sein innovativer Ansatz, Organisationssoziologie vor Ort zu betreiben sowie informelle Strukturen zu durchleuchten, als Klassiker der Organisationstheorie.

Kritik erfuhr das Gesetz zunächst aus Kreisen des orthodoxen Marxismus, so zum Beispiel von Bucharin, der bestritt, dass bürokratische Organisationen zu einer Machtkonzentration führen, da mit den Organisationspositionen und -rollen kein Eigentum verbunden sei.[17] Dagegen bestätigte Rosa Mayreder in einer frühen Rezeption Michels Thesen weitgehend und wandte sie auf soziale Bewegungen an, denen sie im Erfolgsfalle im Laufe ihrer Entwicklung eine Tendenz von der inhaltlichen Arbeit zur reinen Machterhaltung nachsagte: „Je älter eine Machtorganisation wird, […] desto stärker tritt das Interesse der Selbsterhaltung als das Wichtigste in den Mittelpunkt ihrer Orientierung.“[24] Allerdings kann nach ihrer Auffassung dieses Hemmnis sozialen Fortschritts umgangen werden durch die Bildung neuer Konkurrenzorganisationen, die noch nicht an der Macht teilhaben.[24][25]

In den 1950er und 1960er Jahren bemängelte die soziologische Kritik vor allem eine Pauschalität und vermisste eine Differenzierung der Oligarchieformen und eine damit verbundene Differenzierung der psychologischen Auswirkungen auf die Organisationsführerschaft.[17] In diesem Zeitraum wurde vor allem die Ersetzung der substantiellen Organisationsziele durch Organisationsreproduktion als oberstes Ziel der Organisationsführer erforscht.[17]

Zu zwei führenden Exegeten des Ehernen Gesetzes entwickelten sich in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg Seymour M. Lipset und Philip Selznick. Lipset kritisierte anhand zweier Beispiele, denen er selbst biographisch verbunden war, dass dies unter bestimmten Voraussetzungen, nämlich dann, wenn die Führerschaft einer Organisation ihre Klassenbasis widerspiegele, nicht gelten würde. Darüber hinaus seien auch Studenten- und andere Jugendgruppen weniger anfällig für oligarchische Tendenzen, weil sie eher eine Gesinnungs- denn eine Verantwortungsethik verfolgten und sich somit nicht mit organisatorischer Macht beschäftigten.[26]

In späteren Jahren wurden neue theoretische Kritikpunkte vorgebracht und die empirische Angemessenheit der Thesen untersucht. Dabei kommen neuere Überblicksstudien zu dem Ergebnis, dass es zwar in der Gesellschaft keine „ehernen Gesetze“ im strikten Sinne gibt, eine Tendenz zur Oligarchisierung jedoch unverkennbar sei.[25][27] Die meisten Studien versuchen dabei Bedingungen zu identifizieren, unter denen die Oligarchisierung und/oder ihre negativen Konsequenzen abgeschwächt werden; nur selten jedoch werden Michels Thesen grundsätzlich in Frage gestellt.[28]

Die amerikanischen Politikwissenschaftler Daron Acemoğlu und James A. Robinson beziehen sich auf Michels Gesetz in ihrem Werk Warum Nationen scheitern (2012). Als Beispiele für die Aktualität von Michels These führen sie unter anderem an die Oktoberrevolution und die anschließende Herrschaft der Bolschewiki in der Sowjetunion sowie die Dekolonisation Sierra Leones, Zaires und Simbabwes heran, nach der die neuen Herrscher Siaka Stevens, Mobutu Sese Seko und Robert Mugabe die „extraktiven“ (das heißt auf Ausbeutung angelegten) Institutionen der Kolonialherren nicht etwa abgeschafft, sondern nur ihren eigenen Interessen angepasst hätten.[29]

Nachfolgende Forschung

Empirische Analysen, die sich auf das Eherne Gesetz der Oligarchie beziehen, befassen sich mit vielfältigen Organisationsproblemen. Bis in die frühen 1970er-Jahre wurden vor allem bürokratisch organisierte Massenorganisationen untersucht, erst danach rückten kleinere Organisationen und soziale Bewegungen in den Blickpunkt der Forschung. Bei Gruppen ohne formale Hierarchie, wie Konsumgenossenschaften, Wohngemeinschaften und Arbeiterkollektiven, wie auch der Nutzung konsensbasierter Strukturen in Protestorganisationen oder informeller, dezentraler Netzwerkstrukturen gab es mindestens bis 2005 nur wenige systematische Analysen, ob diese einer Oligarchisierung widerstehen könnten.[30] Später wurden auch Arbeiterkollektive mit „kollektivistisch-demokratischen“ Organisationsstrukturen untersucht, doch weiterhin mit unklarem Ergebnis. Die fehlenden Fortschritte gerade bei Organisationen ohne formale Machtstrukturen sind wesentlich darauf zurückzuführen, dass es schwierig ist festzustellen, ob eine rein informelle Elite eine oligarchische Kontrolle ausübt, wenn jeder ein Vetorecht hat.[31]

Robert Michels hatte die Begriffe Oligarchie und Organisation nie klar definiert.[5] In der darauf aufbauenden empirischen Forschung ist dies die größte Schwachstelle, in Folge oft mit einer mangelhaften Operationalisierung.[32] Zumeist wird die Oligarchisierung dabei entweder durch Kontinuität in Besetzung von Führungsrollen[33] oder durch die Veränderung der Ideologie weg von substantiellen Zielen hin zur Organisationsreproduktion gemessen.[34]

Gegenbeispiele zum Ehernen Gesetz

Politische Parteien

Michels Untersuchungsobjekt waren politische Parteien und Organisationen mit demokratischer Ideologie, die weitere Forschung baute darauf auf. So fand eine experimentelle Studie zur Parteioligarchisierung heraus, dass Parteien, die über von der Parteiführung unabhängige Informationsmedien verfügen, egalitärer organisiert werden würden.[35]

Die Grünen

Bei der Institutionalisierung der Neuen Sozialen Bewegungen in der bundesdeutschen Partei Die Grünen sollte Oligarchisierung bewusst vermieden werden. Es gab keine dauerhaften Aufgabenbereiche oder ständigen Bevollmächtigten. Jede kleinste, routinemäßige Entscheidung konnte zur Diskussion und Abstimmung gestellt werden. Als die Mitgliederzahl noch gering war, hatten diese anti-oligarchischen Maßnahmen einigen Erfolg. Aus der Frühzeit der Partei stammten das sogenannte Rotationsprinzip, die Trennung von Amt und Mandat sowie die Doppelspitze bei der Partei- und Fraktionsführung. Als die Partei jedoch wuchs und erfolgreicher wurde, veranlasste das Bestreben, in Wahlen mit anderen Parteien zu konkurrieren, dafür Geldmittel zu beschaffen, große Veranstaltungen und Demonstrationen zu organisieren und mit gewählten Parteien zu kooperieren, die grüne Partei dazu, konventionellere Strukturen und Arbeitsweisen aufzugreifen.[36][37] Mit zunehmender Professionalisierung der Parteistrukturen sowie insbesondere seit dem Eintritt in die rot-grüne Bundesregierung 1998 gab es immer wieder Versuche, das Prinzip der Trennung von Amt und Mandat aufzuweichen.[38]

Unternehmen

Auch auf Wirtschaftsunternehmen wird das Eherne Gesetz angewandt und zumeist bestätigt. So spricht der Wirtschaftswissenschaftler Oliver E. Williamson vom downside drift: der Tendenz, dass die Unternehmensführung zunehmend ihren Eigeninteressen statt der Interessen der Unternehmenseigentümer, insbesondere der Aktionäre, nachgeht.[39]

Soziale Bewegungen

In der Bewegungsforschung wird das Eherne Gesetz vor allem als Institutionalisierung der Bewegung verstanden:[40] Bewegungsorganisationen entstehen zunächst, werden dann professionalisiert und fügen sich schließlich als pressure group, Nichtregierungsorganisation oder als politische Partei in die institutionalisierte Politik ein. Gleichzeitig werden die Ziele der Bewegungsorganisationen damit konservativer, um eine stabile Beziehung zur Politik und zur Restgesellschaft aufbauen zu können.[41]

Bauernbewegung

Seymour M. Lipset untersuchte ungefähr zur gleichen Zeit wie Gusfield Bauernbewegungsorganisationen in Saskatchewan und Manitoba. Dabei kam er zu dem Schluss, dass aufgrund der wesentlich schlechteren Verkehrsinfrastruktur in der ersteren kanadischen Provinz die Führung der dortigen Bewegung sich stärker aus der durchschnittlichen Bauernschaft rekrutiere.[42] Dies habe zur Folge, dass sie auch weiterhin die Interessen der Bauern stark vertrete, während dies in Manitoba nicht der Fall sei.[42]

Neue Soziale Bewegungen

Die 68er-Bewegungen, die aus ihnen hervorgegangenen Neuen Sozialen Bewegungen (NSB) und die Neue Linke unternahmen am Ende des 20. Jahrhunderts den bewussten Versuch, das Eherne Gesetz praktisch-voluntaristisch zu überwinden.[43] Schon in der Anfangsphase der Bewegungen wurde dabei in der Port-Huron-Erklärung explizit Wert auf die gleichberechtigte Teilnahme aller Bewegungsmitglieder gelegt.[44]

Wikipedia

Eine vorwiegend informell organisierte Gemeinschaft, anhand deren Dynamik in jüngerer Zeit das Eherne Gesetz überprüft wurde, ist die Wikipedia. Piotr Konieczny, Wikipedia-Autor, Administrator und Soziologiedoktorand, dessen Datenbasis primär die Diskussionen im Umfeld der englischsprachigen Metadiskussionsseite um die Überprüfbarkeit von Informationen ist, verneint in seinem 2009 erschienenen Aufsatz Governance, Organization, and Democracy on the Internet: The Iron Law and the Evolution of Wikipedia zwar nicht die Tendenz, dass langfristig mitarbeitende Autoren einen geringfügigen Machtvorsprung bei der Erstellung der Artikel haben.[45] Dennoch sei spürbar, dass das Eherne Gesetz durch das Wikiprinzip bestenfalls einschränkende Wirkung entfalte.[46] Grund dafür seien die stark verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten in Wikis, die breitere Partizipation und höhere Transparenz erlaubten,[47] sowie die Bescheidenheit der Wikipedia-Führung, die durch die Ehrenamtlichkeit aller Wikipedia-Mitarbeiter hervorgerufen würde: Niemand trage deshalb zur Wikipedia bei, um in deren Hierarchie aufzusteigen, da Geld- und andere Belohnungsanreize fehlen würden.[48]

Dagegen sieht der Soziologe Christian Stegbauer ebenfalls 2009 in seiner Studie Wikipedia: Das Rätsel der Kooperation die Kriterien für das Eherne Gesetz innerhalb der Wikipedia als weitgehend erfüllt an. Die Führerschaft der (deutschsprachigen) Wikipedia, die er über die Zugehörigkeit zur Benutzergruppe der Administratoren operationalisiert, wird demnach ganz überwiegend kooptiert, indem Führungspositionen vorwiegend auf Vorschlag von und mit der überwältigenden Mehrheit der Elitemitglieder gewählt würden.[49] Schon der formale Prozess der Zuteilung der Administratorenrechte ohne Pflichtwiederwahlen sichere die von Michels vermutete Stabilität des Führungspersonals.[50] Auch entwickele das Führungspersonal eine Ideologie der Unentbehrlichkeit, um seinen Führungsanspruch zu legitimieren.[51] Schließlich bilde das Führungspersonal auch ein informelles Netzwerk, das sich zum Beispiel bei physischen Treffen der sogenannten „Stammtische“ manifestiere.[52]

Der Rechtstheoretiker Adrian Vermeule kommt unter Bezugnahme auf einen Artikel in Slate im Herbst 2010[53] zu einem ähnlichen Ergebnis wie Stegbauer und vermutet, dass dieses Ergebnis auf alle epistemischen Gemeinschaften zutrifft.[54]

Literatur

Ausgaben

  • Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Klinkhardt, Leipzig 1911 (archive.org).
    • 2., vermehrte Auflage. Philosophisch-soziologische Bücherei 21, Alfred Kröner, Leipzig 1925.
    • 4. Auflage. herausgegeben und mit einer Einführung versehen von Frank R. Pfetsch, Kröners Taschenausgabe, Band 250, Kröner, Stuttgart 1989, ISBN 3-520-25004-7.
    • Michels, Robert: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens, Leipzig 1911. In: Hans Maier u. a.: Klassiker des politischen Denkens. Band 1: Von Plato bis Hobbes. 5. Auflage. Beck, München 1979, ISBN 3-406-02517-X.

Sekundärliteratur

  • Maurizio Bach: Robert Michels, „Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens“. In H. P. Müller, M. Schmid (Hrsg.): Hauptwerke der Ungleichheitsforschung. Westdeutscher Verlag, Opladen 2003, ISBN 3-531-13320-9, S. 180–181.
  • Christiane Bender, Elmar Wiesendahl: „Ehernes Gesetz der Oligarchie“: Ist Demokratie möglich? In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Aus Politik und Zeitgeschichte. Nr. 44–45, 2011, ISSN 0479-611X, Demokratie in Gefahr?, S. 19–24 (bpb.de [PDF; 2,4 MB; abgerufen am 8. Mai 2022]). online.
  • Harald Blum, Skadi Krause (Hrsg.): Robert Michels Soziologie des Parteienwesen. Oligarchien und Eliten – die Kehrseiten moderner Demokratie. Konferenzschrift. Springer VS, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-18232-2 (318 S.).
  • Wolfgang Grunwald: Das „Eherne Gesetz der Oligarchie“: Ein Grundproblem demokratischer Führung in Organisationen. In: W. Grunwald, H.-G. Lilge (Hrsg.): Partizipative Führung: betriebswirtschaftliche und sozialpsychologische Aspekte. Huber, Bern 1980, ISBN 978-3-258-02898-9, S. 245–285.
  • Joachim Hetscher: Robert Michels: Die Herausbildung der modernen politischen Soziologie im Kontext von Herausforderung und Defizit der Arbeiterbewegung. Diss. Münster. Pahl-Rugenstein, Bonn 1993, ISBN 3-89144-141-X.
  • Wolfgang Rudzio: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Lehrbuch. 10. Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-22723-4, Innerparteiliche Demokratie oder Gesetz der Oligarchie?, S. 123–153 (546 S.).
  • Suzanne S. Schüttemeyer: Innerparteiliche Demokratie: „Ehernes Gesetz der Oligarchie?“. In: Peter Haungs, Eckhard Jesse (Hrsg.): Parteien in der Krise? In- und ausländische Perspektiven. Verl. Wiss. und Politik, Köln 1987, ISBN 3-8046-8694-X, S. 243–247.
  • Till Westermayer: Parteiinterner Einsatz neuer Medien und die Macht der Eliten: Beginnt das eherne Gesetz der Oligarchie zu brechen oder droht die Rückkehr zur Kaderpartei? In: Arne Rogg (Hrsg.): Wie das Internet die Politik verändert. Einsatzmöglichkeiten und Auswirkungen. Leske + Budrich, Opladen 2003, ISBN 3-8100-3851-2, S. 105–115.

Einzelnachweise

  1. Das Herkunftswörterbuch. In: Duden. 6. Auflage. Band 7. Bibliographisches Institut, Berlin 2020, ISBN 978-3-411-04076-6 (960 S., Eintrag „ehern“).
  2. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens (= Philosophisch-soziologische Bücherei). Klinkhardt, Leipzig 1910, OCLC 990240468, Teil VI. Synthese: Die oligarchischen Tendenzen der Organisation, S. 382 (ssoar.info [abgerufen am 5. Mai 2020] Layout modernisiert).
  3. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie: Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens (= Philosophisch-soziologische Bücherei). Klinkhardt, Leipzig 1910, OCLC 990240468 (ssoar.info [abgerufen am 5. Mai 2020]).
  4. a b Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Werner Klinkhardt, Leipzig 1911, OCLC 990240468, Teil VI. Synthese: Die oligarchischen Tendenzen der Organisation., S. 384.
  5. a b c d e f Giovanni Sartori: Demokratietheorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, ISBN 978-3-534-11493-1, 6.6 Das eiserne Gesetz der Oligarchie, S. 156–160 (Zitate nach Sartori aus Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie (1911), S. 32 f., 383).
  6. Giovanni Sartori: Demokratietheorie. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1992, ISBN 978-3-534-11493-1, 3.4 Mosca, Pareto, Michels, S. 55 f.
  7. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 789.
  8. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 778.
  9. a b Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 782 f.
  10. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 775 f.
  11. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 779 f.
  12. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 783 f.
  13. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 786.
  14. Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 788.
  15. Wini Breines: Community and Organization: The New Left and Michels' "Iron Law". In: Social Problems. 27. Jahrgang, Nr. 4, 1980, ISSN 0037-7791, S. 419–429, S. 427.
  16. a b C. Fred Alford: The "Iron Law of Oligarchy" in the Athenian Polis … and Today. In: Canadian Journal of Political Science / Revue canadienne de science politique. 18. Jahrgang, Nr. 2, 1985, ISSN 0008-4239, S. 295–312, S. 297.
  17. a b c d e Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 313.
  18. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Werner Klinkhardt, Leipzig 1911, S. 27.
  19. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Werner Klinkhardt, Leipzig 1911, S. 26.
  20. a b Phillip J. Cook: Robert Michels’s Political Parties in Perspective. In: The Journal of Politics. 33. Jahrgang, Nr. 3, 1971, S. 773–796, S. 790.
  21. Michael Katovich, Marion W. Weiland, Carl J. Couch: Access to Information and Internal Structures of Partisan Groups: Some Notes on the Iron Law of Oligarchy. In: The Sociological Quarterly. 22. Jahrgang, Nr. 3, 1981, ISSN 0038-0253, S. 431–445, S. 432.
  22. Frank R. Pfetsch: Einleitung. In: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. 4. Auflage. Kröner, Stuttgart 1989, ISBN 3-520-25004-7, S. XVII–XLI, S. XXVI.
  23. Robert Michels: Zur Soziologie des Parteiwesens in der modernen Demokratie. Untersuchungen über die oligarchischen Tendenzen des Gruppenlebens. Werner Klinkhardt, Leipzig 1911, S. 359.
    Zitiert beispielsweise in: Wini Breines: Community and Organization: The New Left and Michels' "Iron Law". In: Social Problems. 27. Jahrgang, Nr. 4, 1980, ISSN 0037-7791, S. 419–429, S. 424.
  24. a b Rosa Mayreder: Der typische Verlauf sozialer Bewegungen. In: Der Aufstieg: Neue Zeit- und Streitschriften. Band 3. Anzengruber, Wien 1917, S. 20 (ngiyaw-ebooks.org [PDF; 2,1 MB]). Der typische Verlauf sozialer Bewegungen (Memento vom 11. September 2015 im Internet Archive)
  25. a b Dieter Rucht: Linking Organization and Mobilization: Michels's Iron Law of Oligarchy Reconsidered. In: Mobilization. 4. Jahrgang, Nr. 2, 1999, ISSN 1086-671X, S. 151–169, S. 154.
  26. Philip G. Altbach, Seymour M. Lipset (Hrsg.): Students in Revolt. Houghton Mifflin, Boston, MA 1969, The possible effects of student activism on international politics, S. 495–521, S. 499.
  27. Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 313.
  28. Kim Voss, Rachel Sherman: Breaking the Iron Law of Oligarchy: Union Revitalization in the American Labor Movement. In: The American Journal of Sociology. 106. Jahrgang, Nr. 2, 2000, ISSN 0002-9602, S. 303–349, S. 306.
  29. Daron Acemoğlu und James A. Robinson: Warum Nationen scheitern. Die Ursprünge von Macht, Wohlstand und Armut. S. Fischer, Frankfurt am Main 2013, S. 149, 428 f., 434 u.ö.
  30. Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 314.
  31. Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 315.
  32. Alwin J. Schmidt: Oligarchy in fraternal organisations. A Study in Organizational Leadership. Gale Research Co., Detroit, MI 1973, ISBN 0-8103-0345-0, S. 10.
  33. Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 317 f.
  34. Darcy K. Leach: The Iron Law of What Again? Conceptualizing Oligarchy across Organizational Forms. In: Sociological Theory. 23. Jahrgang, Nr. 3, 2005, ISSN 0735-2751, S. 312–337, S 318 f.
  35. Michael Katovich, Marion W. Weiland, Carl J. Couch: Access to Information and Internal Structures of Partisan Groups: Some Notes on the Iron Law of Oligarchy. In: The Sociological Quarterly. 22. Jahrgang, Nr. 3, 1981, ISSN 0038-0253, S. 431–445, S. 444.
  36. Fraune, Cornelia: Grenzen der Zivilgesellschaft: empirische Befunde und analytische Perspektiven. Waxmann, 2012, ISBN 978-3-8309-2370-1, S. 81 ff.
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