Genuß, Lithografie von Theodor Hosemann

Genuss ist eine positive Sinnesempfindung, die mit körperlichem und/oder geistigem Wohlbehagen verbunden ist. Beim Genießen wird mindestens ein Sinnesorgan erregt. In etwa lassen sich kulinarische Genüsse, zum Beispiel als Bestandteil der Ess- und Trinkkultur, geistige Genüsse wie das Hören von Musik oder das Lesen interessanter Lektüre sowie körperliche Genüsse, zum Beispiel als Teil der Sexualität oder bei einer Massage, unterscheiden. Am häufigsten wird der Begriff im Zusammenhang mit Essen und Trinken verwendet, aber auch mit dem Konsum von Tabak. Allgemein gelten Kaffee, Tee, Schokolade, Kakao, Tabakwaren und alkoholische Getränke als Genussmittel, bei denen psychotrope Substanzen mehr oder weniger stark am Zustandekommen des Genusserlebnisses beteiligt sind. Der kulinarische Genießer wird oft als Feinschmecker oder Gourmet bezeichnet.

Was als Genuss empfunden wird, ist subjektiv und damit individuell unterschiedlich. Voraussetzungen sind Genussfähigkeit und Hingabe. Dem Bejahen des Genusses durch den Genießer steht die Lebenshaltung der Askese entgegen, bei der es um Verzicht geht und Genuss gezielt vermieden wird. Obgleich der Genuss individuell erlebt wird, kann man dennoch kulturelle und soziale Unterschiede feststellen. Epikur gilt als Begründer einer Philosophie des Genusses, des Epikureismus, dessen Lebensziel ein „lustvolles Leben“ war.

Ein Gegenbegriff zum „Genuss“ im Zusammenhang mit Essen ist Ekel. Was keinen Genuss bereitet, ohne abzustoßen, gilt z. B. als fade oder neutral. Als ungenießbar wird ein Nahrungsmittel bezeichnet, das dem Genuss so stark widerspricht, dass man es vermeidet.

Etymologie

Der Begriff genießen hatte früher eine andere Bedeutung im Sinne von „etwas nutzen“ oder „etwas benutzen“. Das mittelhochdeutsche "geniesz" bezeichnete die "gemeinsame nutznieszung".[1] Diese Bedeutung hat sich bis heute erhalten in Begriffen wie Nutznießung. Nießbrauch oder in den Genuss einer Sache kommen. Daraus abgeleitet ist auch das Wort Genosse als Bezeichnung für das Mitglied einer Gemeinschaft, die gemeinsam etwas nutzt.[2] In der Neuzeit verengte sich der Begriff zunehmend auf Vorgänge des Essens und Trinkens, zunächst mit neutraler Konnotation. Der Ausdruck „ich habe heute noch nichts genossen“ war gleichbedeutend mit „ich habe heute noch nichts gegessen“.[2] Hinzu kamen Assoziationen von Lust und Vergnügen, auch im Zusammenhang mit der Sexualität. Immanuel Kant wurde bei Grimm zitiert mit der Definition: „genieszen ist das Wort, womit man das innige des vergnügens bezeichnet“.[2]

Physiologie

MRT-Scan des Gehirns mit Wirkung von Liebeshormonen
Orgasmus bei einer Frau, durch Franciszek Żmurko

Physiologisch gesehen werden Genussgefühle im Gehirn ausgelöst, wobei zwei Mechanismen bekannt sind:

Genussfähigkeit

Es gibt im deutschsprachigen Raum nur wenige wissenschaftliche Publikationen, die sich mit dem Thema Genuss beschäftigen, obwohl es in Nürnberg sogar ein Institut für Genussforschung gibt. Tanja Hoff, Professorin für Sozial- und Organisationspsychologie, hat sich in dem Buch Genuss und Gesundheit mit der Fähigkeit zu genießen beschäftigt. Bislang ist nicht ausreichend erforscht, ob Genussfähigkeit angeboren oder erworben ist. In der Psychologie gibt es die Theorie des Lustprinzips, die auf Sigmund Freud zurückgeht, wonach bereits der Säugling nach Lust strebt und versucht, Unlustgefühle zu vermeiden. Laut Hoff wird das differenzierte Genussverhalten sozial erlernt und durch die Familie und das gesamte Umfeld beeinflusst, auch noch im Erwachsenenalter.[3]

Genussfähigkeit kann auch verloren gehen. Aus der Psychiatrie ist bekannt, dass schwere Depressionen bei Patienten begleitet werden von einer ausgeprägten Genussunfähigkeit, also auch dem Verlust der Fähigkeit, sich an irgendetwas zu erfreuen oder Vergnügen zu empfinden (Anhedonie). Laut Tanja Hoff legen Studienergebnisse nahe, dass in Deutschland etwa 25 Prozent der Erwachsenen nicht oder nur eingeschränkt genussfähig sind.[3] Andererseits ist in populärwissenschaftlichen Publikationen auch die Rede von Genusssucht, vor allem bei Jugendlichen, womit de facto aber ein ständiges Verlangen nach neuen Reizen oder Reizsteigerung gemeint ist. Das entspricht nicht der eigentlichen Bedeutung des Begriffs Genuss.

Nach Hoffs Studie ist in Deutschland die Genussfähigkeit tendenziell regional unterschiedlich stark ausgeprägt. Am genussfähigsten sind demnach Bewohner des Rheinlandes, von Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Rheinland-Pfalz.[3] Dies legt einen Zusammenhang mit regionaler Mentalität nahe. Befragt wurden insgesamt 1000 Personen. Hoff unterscheidet drei verschiedene Typen: genussfähige, genussunfähige und so genannte Genuss-Zweifler. Die Genussunfähigkeit sei in Norddeutschland stärker vertreten, die meisten Genuss-Zweifler gebe es in den ostdeutschen Bundesländern.[3]

Generell wird Genuss mit der Fähigkeit zur Muße und zur Entspannung verknüpft. Eile, Hektik und Stress gelten als genussfeindliche Faktoren.

Studien

Nach einer Studie des Instituts für Genussforschung aus dem Jahr 2000 gibt es beim Genießen auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Das Genussempfinden von Frauen sei differenzierter und anspruchsvoller, so ein Ergebnis. Befragt wurden bundesweit 300 Personen. 88 Prozent bezeichneten Genuss als Abwechslung im Alltag. Nur 54 Prozent bezeichneten sich selbst als Genießer. Mindestens ein Viertel der Befragten wurde als nicht genussfähig eingestuft.[4]

Eine Studie aus dem Jahr 2004 ergab ebenfalls geschlechtsspezifische Unterschiede, und zwar im Hinblick darauf, welche Aktivitäten mit dem Begriff Genuss verbunden werden, wobei er überwiegend als Synonym für Entspannung aufgefasst wurde. Frauen entspannen sich danach vor allem beim Kaffeeklatsch, bei Wellness-Angeboten und beim Einkaufen, Männer dagegen im Fußballstadion, beim Sport oder in der Kneipe. Als wichtigste Alltagsgenüsse bezeichneten Frauen das Kaffeetrinken und „Nichtstun“; Männer hören am liebsten Musik oder gehen essen.[5]

Die Autoren dieser Studie gehen davon aus, dass es vier verschiedene Genusstypen gibt: die so genannten Couchgenießer (36 %), die Geschmacksgenießer (27 %), die Erlebnisgenießer (17 %) und die Alltagsgenießer (17 %).[6]

Sonstiges

Bei einer Umfrage im Jahr 2000, bei der die Befragten zum Genießer-Image von Politikern befragt wurden, wobei Noten zwischen +5 (echter Genießer) und −5 (gar kein Genießer) vergeben wurden, schnitt der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mit 3,3 am besten ab. Auf Platz 2 folgte der damalige Bundespräsident Johannes Rau (2,1), dahinter landeten Joschka Fischer (1,7), Guido Westerwelle (1,4) und Franz Müntefering (1,2). Angela Merkel wurde mit −0,4 bewertet, Hans Eichel mit −0,5.[7]

Als „Genießer des Jahres“ werden jährlich durch den Schlemmer Atlas Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ausgezeichnet.[8]

Siehe auch

Literatur

  • Reinhold Bergler, Tanja Hoff: Genuss und Gesundheit. Psychologische Bedeutungen von Genuss und Kultur. Kölner Universitas-Verlag, Köln 2002, ISBN 3-87427-087-4.
  • Andreas Dorschel: Vom Genießen. Reflexionen zu Richard Strauss. In: Andreas Dorschel (Hrsg.): Gemurmel unterhalb des Rauschens. Theodor W. Adorno und Richard Strauss. (= Studien zur Wertungsforschung. Band 45). Universal Edition, Wien / London / New York 2004, ISBN 3-7024-2710-4, S. 23–37 (über musikalischen Genuss)
  • Gisèle Harrus-Révidi: Die Kunst des Genießens. Eßkultur und Lebenslust (Psychoanalyse de la gourmandise, 1994). Verlag Artemis & Winkler, 1996, ISBN 3-538-06643-4.
  • Kathrin Kiss-Elder: Muße. Eine kleine Schule des Genießens. Verlag Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-45010-1.
  • Rainer Lutz: Gesundheit und Genuss: Euthyme Grundlagen der Verhaltenstherapie. In: J. Margraf: Lehrbuch der Verhaltenstherapie. Band 1, Springer, Berlin 1996, ISBN 3-540-60378-6.
  • R. Lutz, E. Koppenhöfer: Kleine Schule des Genießens. In: R. Lutz (Hrsg.): Genuß und Genießen. Beltz, Weinheim / Basel 1983, S. 112–125.
  • Stefan Klein: Genuss. In: Stefan Klein: Die Glücksformel oder Wie die guten Gefühle entstehen. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2003; 6. Auflage: Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-61513-4, S. 122–136.
  • E. Koppenhöfer, R. Lutz: Depression und Genuß. In: R. Lutz (Hrsg.): Genuß und Genießen. Zur Psychologie genußvollen Erlebens und Handelns. Beltz, Weinheim 1983, S. 126–136.
  • R. Lutz (Hrsg.): Genuß und Genießen. Beltz Verlag, Weinheim / Basel 1983.
  • Annerose Menninger: Genuss im kulturellen Wandel. Tabak, Kaffee, Tee und Schokolade in Europa (16.–19. Jahrhundert). Franz Steiner, Stuttgart 2004; 2. Auflage ebenda, 2008, ISBN 978-3515091794.
  • Annerose Menninger: Tabak, Zimt und Schokolade. Europa und die fremden Genüsse (16.–19. Jahrhundert). In: Urs Faes, Béatrice Ziegler (Hrsg.): Das Eigene und das Fremde. Festschrift für Urs Bitterli. Zürich 2000, S. 232–262.
  • Gero von Randow: Genießen. Eine Ausschweifung. Hoffmann & Campe, Hamburg 2001, ISBN 3-455-11278-1.
  • Christian Stegbauer: Geschmackssache? Eine kleine Soziologie des Genießens. Merus Verlag, Hamburg 2006, ISBN 3-939519-16-2.
Wikiquote: Genuss – Zitate
Wiktionary: genießen – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Quellen

  1. Martin Schenk, Michela Moser: Es reicht! Für alle! Deutike, Wien 2010, S. 185.
  2. a b c Deutsches Wörterbuch der Brüder Grimm, Stichwort genieszen
  3. a b c d Interview mit Tanja Hoff bei inforadio.de
  4. RP ONLINE: Umfassendes Sinneserlebnis ohne Risiko: Frauen sind die besseren Genießer. 21. Januar 2001, abgerufen am 5. April 2022.
  5. Medizinauskunft: Männer genießen anders als Frauen (Memento vom 16. März 2005 im Internet Archive)
  6. socialnet Rezensionen: Genussbarometer Deutschland. Wie wir zu leben verstehen | socialnet.de. Abgerufen am 5. April 2022.
  7. RP ONLINE: Merkel und Eichel bilden das Schlusslicht: Genussmensch Schröder hängt alle ab. 31. August 2000, abgerufen am 5. April 2022.
  8. Auszeichnungen 2021 - schlemmer-atlas.de. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 6. Februar 2022; abgerufen am 5. April 2022.