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Als Vogelzug bezeichnet man den alljährlichen Flug der Zugvögel von ihren Brutgebieten zu ihren Winterquartieren und wieder zurück. Jährlich sind weltweit schätzungsweise 50 Milliarden Zugvögel unterwegs, davon etwa fünf Milliarden zwischen Europa und Afrika.
Als Zugvogel wird eine Vogelart dann bezeichnet, wenn sie verschiedene Jahreszeiten an unterschiedlichen Orten verbringt. Obligate Zugvögel verlassen immer ungefähr zur selben Zeit und unabhängig von klimatischen Bedingungen ihre Brutgebiete, fliegen auf etwa gleichbleibenden Routen zu ihrem Winterquartier und kehren im darauffolgenden Frühjahr zurück.
Das Gegenstück zum Zugvogel ist der Standvogel. Vogelarten, bei denen nur ein Teil der Populationen zieht, bezeichnet man als Teilzieher. Eine andere Mischform sind Strichvögel: Sie verlassen im Winter ihr Brutgebiet, bleiben aber in denselben Breiten.
Nach der zurückgelegten Distanz unterscheidet man Kurzstreckenzieher, Mittelstreckenzieher und Langstreckenzieher.
Wie im September 2007 berichtet wurde, hat eine weibliche Pfuhlschnepfe mit der Bezeichnung E7 einen 11.500 Kilometer langen Flug (ohne Höhenberechnung) von Alaska nach Neuseeland nonstop durchgeführt. Der Vogel war wie mehrere andere mit einem Sender ausgestattet.[1] Dieses Tier hielt damit, soweit bekannt, den Flugweitenrekord für Zugvögel. Im Oktober 2020 überbot ein Artgenosse diesen Rekord und knackte die 12.000-Kilometer-Marke.[2]
Peter Berthold zufolge ziehen die meisten Vögel sowohl in Norddeutschland als auch im Schweizer Mittelland in Höhen unter 1000 Metern. Allerdings wurden in Europa auch schon Schwäne beobachtet, die in 8000 bis 8500 Metern flogen. Selbst der Himalaya wird von vielen Zugvogel-Arten überquert, wobei die Tiere Höhen von 7000 bis 10.000 Metern erreichen.[3]
Der größte Teil des Vogelzugs geschieht nachts. Mit Hilfe von Radar-Ortungen konnte das Verhalten von Zugvögeln beim Trans-Sahara-Zug im Gebiet von Mauretanien beschrieben werden. Die von Schmaljohann et al. (2007) beobachteten, im Herbst von Europa nach Süden und im Frühjahr wieder nach Norden ziehenden Vögel halten sich zumeist tagsüber in Bodennähe auf und ziehen überwiegend nachts. Die einzeln reisenden Vögel stiegen beim Sonnenuntergang in die Höhe und landeten im Sand, sobald die Sonne aufging. Zuvor hatten einige Forscher angenommen, dass sie in einem 40-stündigen Nonstop-Flug die heißen Wüstengebiete der Sahara überfliegen.[4]
Beobachtungen der Arbeitsgruppe der Schweizerischen Vogelwarte Sempach deuten darauf hin, dass es speziell für Leichtgewichte wie Fitis, Trauerschnäpper und Gartengrasmücke kräfteschonender ist, wenn sie die heißen Stunden ruhend am Boden verbringen und nicht in den turbulenten Luftmassen fliegen.
Große und schwere Vögel bevorzugen den Flug am Tag und über Land und nutzen meist die V-Formation, um Energie zu sparen.[5][6][7][8][9] Sie lassen sich von den aufgeheizten Luftmassen nach oben tragen und segeln anschließend in die gewünschte Zugrichtung (siehe Thermiksegler).
Die meisten Arten der Zugvögel ziehen im Breitfrontzug, das heißt breitflächig, solange keine Barrieren (wie Gebirge oder Meere) die Route vorgeben. Wenn Zugvögel auf ihrem Weg an bestimmte Rastplätze gebunden sind, ziehen sie auf Zugstraßen (Schmalfrontzug).
Bei manchen Arten und Populationen sind Hin- und Rückweg verschieden, siehe Schleifenzug.
Die biologischen Grundlagen des Vogelzugs können sowohl aus ökologischer als aus genetischer und physiologischer Sicht erörtert werden. Bei der Evolution des Vogelzugs haben diese Aspekte zusammengewirkt.
Wichtigste ökologische Ursache des Vogelzugs ist das jahreszeitlich extrem unterschiedliche Nahrungsangebot in den Brutgebieten: Während Insektenfresser zum Beispiel im Umkreis der Ostsee im Frühjahr und Sommer reichlich Nahrung vorfinden, ist es dort im Winter derart kalt, dass kaum noch Insekten umherfliegen und große Vogelpopulationen daher unter Nahrungsmangel leiden und zugrunde gehen würden. Umgekehrt versammeln sich in den weiter südlich gelegenen Winterquartieren derart viele Vögel, dass auch dort die Nahrung zu knapp wird, als dass noch Eier gelegt und die Jungvögel später mit Nahrung versorgt werden könnten.
Das Ausweichen nach Norden im Sommer hat auch den Vorteil, dass die sehr lange Taghelligkeit die Zeit zur Futtersuche verlängert und so die Aufzucht der Jungen begünstigen kann.
Der kräftezehrende Vogelzug ist insofern gewissermaßen eine „Notlösung“ (genauer: eine evolutionäre Anpassungsleistung) jener Vogelarten, die grundsätzlich nur in einem relativ warmen Klima überleben können, im Verlauf der Stammesgeschichte aber einen Ausweg gefunden haben, um auch vergleichsweise unwirtliche Gebiete besiedeln zu können.
Ob ein Vogel zieht, wohin er zieht, und wann bei ihm die Zugunruhe einsetzt, ist genetisch festgelegt: Sowohl die Flugrichtung als auch die Flugdauer sind angeboren. Dies haben unter anderen Peter Berthold, Eberhard Gwinner sowie Wolfgang Wiltschko und Roswitha Wiltschko experimentell nachgewiesen. So gibt es Vogelarten, bei denen Teilpopulationen von Norden kommend in südöstlicher Richtung um die Alpen herum fliegen und andere Teilpopulationen in südwestlicher Richtung. Werden Individuen beider Teilpopulationen miteinander verpaart, wählen die Nachkommen einen mittleren Weg – in einzelnen Fällen kurioserweise sogar statt nach Süden nach Norden, in Richtung der Britischen Inseln. Die Verpaarung von Fernziehern mit Kurzstreckenziehern erbrachte vergleichbare intermediäre Verhaltensweisen in der Folgegeneration.
Ferner wurden Vögel vom Schlüpfen an unter konstanten Bedingungen im Labor handaufgezogen, so dass sie nie Kontakt zu frei lebenden Artgenossen hatten und keine Jahreszeiten kannten. Dennoch zeigten sie die für Zugvögel typische Zugunruhe, das heißt eine Steigerung von motorischer Aktivität im Herbst und im Frühjahr. Allerdings war der Abstand von einer herbstlichen Zugunruhe zur nächsten meist etwas kürzer als ein Jahr. Das bedeutet, dass die Bereitschaft zum Ziehen zwar angeboren ist, der optimale Abflugtermin aber auch durch Umwelteinflüsse (zum Beispiel durch Witterungsbedingungen und Futterangebot) zumindest in geringem Maße beeinflusst wird.
Die genauen physiologischen, speziell die hormonellen Mechanismen, die letztlich zum Einsetzen des Vogelzugs führen, sind derzeit Gegenstand intensiver Forschung.
Auf welche Weise sich der Vogelzug im Verlauf der Stammesgeschichte der Vögel herausgebildet hat, ist spekulativ, da es keine fossilen Überlieferungen für derartige Verhaltensweisen gibt. Nur der Mechanismus ist nachvollziehbar, der den Erhalt der angeborenen Fähigkeit zum Ziehen bewirkt: Ist das Nahrungsangebot am Zielort des saisonalen Vogelzugs gut, dann überleben dort die meisten der angekommenen Zugvögel. Ist das Nahrungsangebot hingegen unzureichend, so sterben sie. Das heißt: Nur jene Vögel, die dank ihrer Erbanlagen sowohl die richtige Richtung wählen als auch eine angemessene Flugstrecke, können ihre Gene und damit ihr Zugvogelverhalten an die nächste Generation weitergeben.
Der Vogelzug wird also auch heute noch durch die Selektion der am besten angepassten Individuen stabilisiert.
Um sich auf ihrem Zugweg zu orientieren, benutzen die Vögel einen „inneren Kompass“, aber auch die astronomische Navigation (Stand von Navigationssternen oder Sonnenstand) sowie Landmarken.[11] Meist werden verschiedene Informationen gleichzeitig genutzt.[12]
Trotz der ausgeprägten Orientierungsfähigkeit der Zugvögel wird das Ziel nicht immer erreicht. Beispielsweise können Witterungseinflüsse bewirken, dass die Vögel über das Ziel hinausschießen (Zugprolongation). Wenn sie weit von ihrem Ziel oder der Zugroute abkommen, spricht man von Irrgästen.
Der „innere Kompass“ ist vermutlich die Folge eines Magnetsinns, genauer: von Magnetfeld-Rezeptoren,[13][12][14] mit deren Hilfe die Vögel den Neigungswinkel des Erdmagnetfeldes wahrnehmen können. Bei Rotkehlchen befindet sich dieser Rezeptor offenbar im rechten Auge: Deckt man das Auge ab, verlieren sie die Fähigkeit zur Orientierung im Erdmagnetfeld. Bei Haustauben wurde zusätzlich gezeigt, dass sich ein zweiter Magnetsensor in der Haut des Oberschnabels befindet; er könne die Stärke des Magnetfeldes messen.[15][16]
Laut einer Untersuchung aus Oldenburg beeinträchtigt Elektrosmog im Frequenzbereich von zwei Kilohertz bis fünf Megahertz den Magnetkompass der Zugvögel. Dieser relativ niedrige Frequenzbereich ist schon bei normalen Haushaltsgeräten vorzufinden. Haben sich die Vögel aus dem Elektrosmog-Areal entfernt, orientieren sie sich wieder problemlos am Magnetfeld der Erde.[17]
Manche Vögel können sich anhand des nächtlichen Sternenhimmels orientieren.[12][18][19] Schon in den 1970er Jahren wurde dies bei Grasmücken in einem Planetarium nachgewiesen, wobei vor allem die Gesamtrotation des Sternenhimmels beachtet zu werden scheint und weniger bestimmte Veränderungen der Sterne zueinander. Handaufgezogene Indigofinken, die als Jungtiere niemals den Sternenhimmel zu sehen bekamen, waren später auf dem Zug nicht in der Lage, sich wie ihre frei lebenden Artgenossen zu orientieren – was als Hinweis dafür angesehen werden kann, dass die astronomische Navigation („Sternenkompass“) erlernt werden muss. Wurde solchen handaufgezogenen Tieren hingegen in einem Planetarium zwischen dem Flüggewerden und dem ersten Herbstzug ein um den Nordstern rotierender Sternenhimmel dargeboten, zeigten sie ein normal nach Süden hin gerichtetes Zugverhalten.
Den Sonnenstand können manche Vögel, so bei Sonnenauf- und -untergang, zur Orientierung heranziehen.[20] Ihre Fähigkeit, UV-Licht wahrzunehmen,[21] könnte die Orientierung am Sonnenstand auch bei diesiger Witterung erleichtern. Es gibt ferner Studien, die darauf hindeuten, dass zumindest einige Vogelarten auch die Polarisationsmuster des Himmels wahrnehmen, die sich – abhängig vom Stand der Sonne – im Tagesverlauf ändern.[22][23] Wie verbreitet diese Fähigkeit ist und ob sie beim Vogelzug wirklich genutzt wird, ist aber ungeklärt.
Einige Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass auch Landmarken der Orientierung dienen, zum Beispiel der Verlauf von Autobahnen und die Beleuchtung von Großstädten.[24] Daher ist anzunehmen, dass die Lichtverschmutzung und Lasershows bei Großveranstaltungen die Orientierung der Zugvögel stören können.
Um auch große Distanzen ohne Nahrungsaufnahme zurücklegen zu können, aktivieren die Zugvögel nicht nur ihre vor Beginn des Vogelzugs angelegten Fettvorräte. Sie greifen sogar auf die Eiweiße ihrer inneren Organe zurück, so dass auch diese zumindest teilweise dem Stoffwechsel zwecks Energiegewinnung zugeführt werden. Bei diesem auch Verbrennung genannten Vorgang wird Wasser freigesetzt, das in erheblichem Maße dazu beiträgt, die Aufnahme von Trinkwasser zu verringern.
Bei Grauschnäppern wurde in den 1980er Jahren nachgewiesen, dass die Dauer ihrer Zwischenstationen in Oasen der Sahara von den Fettreserven abhängig ist. Gut genährte Tiere hielten sich dort kürzer auf als weniger gut genährte. Vergleichbare Ergebnisse brachten auch etliche Laborstudien: Mit wenig Futter versorgte Tiere zeigten eine geringere Zugunruhe als jene Artgenossen, die sich reichlich Fett anfressen konnten.
Im Nationalpark Wattenmeer können große Schwärme von Zugvögeln auf der Rast im Wattenmeer beobachtet werden. Die Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer führt „Zugvogeltage“ mit einem umfangreichen Programm durch.[25] Am Jadebusen wird zur Vogelbeobachtung ein Turm aufgestellt, auf dem weit reichende Fernrohre zur Verfügung stehen. In Erweiterung der direkten visuellen Beobachtung scheint ebenfalls das Suchinteresse der Bevölkerung – beispielsweise über die Suchmaschine von Google – mit dem jahreszeitlichen Auftreten von Zugvögeln in der jeweiligen Region zu korrelieren und bietet ein weiteres, datenanalytisches Instrument zur Analyse des Vogelzuges.[26]
Nächtliche Flüge entziehen sich der visuellen Beobachtung. Auch der Umstand, dass Vögel gelegentlich in sehr großen Höhen und damit über den Wolken ziehen, macht eine visuelle Erfassung ohne technische Hilfsmittel unmöglich. Radargeräte geben dagegen weitestgehend unabhängig von Sichtverhältnissen Auskunft über die Intensität des Vogelzugs. Der Deutsche Ausschuss zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr (DAVVL e. V.) macht sich diese Technik bereits seit den 1960er-Jahren zur Warnung der Luftfahrer vor verstärktem Vogelaufkommen und damit einhergehender Vogelschlaggefahr zunutze. Je nach Radartyp sind Informationen zu Vogelzugzeiten, -intensitäten, -höhen und räumlichen Verteilungen aus den Radarechos abzulesen. Sie werden zu Warnmeldungen, den so genannten Birdtam, weiterverarbeitet und sind über die Website des DAVVL einzusehen.
Das Auslesen der Ringe von beringten Vögeln ermöglicht Rückschlüsse auf ihr Zugverhalten. Beispielsweise beschäftigt sich die Vogelwarte Helgoland (heutiger Hauptsitz in Wilhelmshaven) als nordwestdeutsche Beringungszentrale seit 1910 schwerpunktmäßig mit der Vogelzugforschung.
Zur genaueren Erfassung von Flugrouten werden größere Vögel mit Satellitensendern, kleine mit Helldunkelgeolokatoren versehen.[27]
Seit einigen Jahren lässt sich eine Veränderung des Zugverhaltens vieler Vogelpopulationen feststellen: Immer mehr Vogelarten, die früher obligatorische Zieher waren, überwintern inzwischen in Mitteleuropa, beispielsweise Mönchsgrasmücke und Zilpzalp. Auch Weißstörche bleiben im Winter vermehrt in Deutschland oder in der Schweiz. Einige Starenpopulationen haben ihre Zugrichtung sogar komplett umgekehrt und ziehen in nördliche Richtungen: in große Städte, wo sie auch in der kalten Jahreszeit ein ausreichendes Nahrungsangebot vorfinden.
Einige Wissenschaftler bringen diese Entwicklung mit den Folgen der globalen Erwärmung in Zusammenhang, aber auch mit der plattentektonischen Umlenkung des warmen Golfstroms, des kalten Humboldtstroms und anderer Meeresströmungen, mit denen das Nahrungsangebot zusammenhängt. Über eine längere Zeitspanne hinweg könnte das uns bekannte afrikanisch-eurasische Zugsystem verschwinden.
Wenn Vögel wegen Nahrungsmangel ihr Populationsgebiet aufgeben und sich in weit entfernten Regionen ansiedeln, spricht man von Invasionsvögeln. Weil es dabei nicht um regelmäßige Hin- und Rückflüge handelt, hat dieses Phänomen nichts mit dem Vogelzug zu tun.
Weiterhin vom Vogelzug zu unterscheiden ist die Dismigration. Das sind Zerstreuungswanderungen vor allem von Jungvögeln, die der Ausweitung des Lebensraums dienen. Die dabei zurückgelegten Strecken sind viel kürzer als beim Vogelzug – oft nur wenige Kilometer, höchstens einige hundert Kilometer.