Type a search term to find related articles by LIMS subject matter experts gathered from the most trusted and dynamic collaboration tools in the laboratory informatics industry.
Tataren (tatarisch татарлар /tatarlar/), veraltet auch Tartaren, ist seit der ausgehenden Spätantike in den alttürkischen Quellen (Orchon-Runen) und seit dem Mittelalter eine Sammelbezeichnung verschiedener, überwiegend islamisch geprägter Turkvölker und Bevölkerungsgruppen.
Im engeren Sinne handelt es sich heute um ein turksprachiges Volk, welches vor allem in der Russischen Föderation lebt, insbesondere in den Republiken Tatarstan und Baschkortostan. In der Republik Tatarstan bilden die Tataren die Titularnation. In Russland leben 5.310.649 Tataren (Volkszählung 2010), sie sind nach den Russen das zweitgrößte Volk Russlands. Darüber hinaus gibt es geografisch getrennt siedelnde Volksgruppen der Tataren in Sibirien, Polen, Ukraine und Belarus. In religiöser Hinsicht sind die Tataren überwiegend sunnitisch-muslimisch geprägt.
In Europa wurden die Truppen des Mongolischen Reiches und der Goldenen Horde vom späten 12. bis ins frühe 16. Jahrhundert als „Tataren“ bezeichnet. Oft wurden sie auch als „Tartaren“ bezeichnet, abgeleitet von griechisch Tartaros, mit der Bedeutung „die aus der Hölle kommen“. Man verballhornte dabei die Eigenbezeichnung irrtümlich mit einem ähnlich klingenden Begriff.[1]
Das Wort tātār lässt sich von dem mandschurischen Verb tata-me (mehrdeutig: „ziehen, den Bogen spannen, schießen, vor einem Heer lagern, kämpfen“) ableiten.[2] Von Beginn an kam das zusätzliche r am Ende des Wortes nur in westlichen Quellen vor. Einerseits kann es auf eine bereits frühe Verschmelzung bzw. Verballhornung von tata-ere (mandsch.: „ein Krieger werden“) zurückzuführen sein[2], andererseits sollte eine bewusste Assoziation zu dem griechischen Begriff Τάρταρος (Tartarus), „Unterwelt“, hergestellt werden.
Der Name „Tataren“ wird in vielen verschiedenen Zusammenhängen gebraucht. So wurden und werden als Tataren bezeichnet:
Zur Zeit Dschingis Khans wurden nur zwei Clans der östlichen Mongolei zu den Tataren gerechnet:
„Im Ausland, sowohl in den islamischen wie auch im Abendland, wurde ihr Name für die Mongolen verwandt. Auch sie bestanden zunächst aus zwei Sippen, den Ari'ut und den Buiru'ut. Weit im Osten liegend, waren sie Nachbarn des chinesischen Reiches und zählten sich zu den Erbfeinden der Mongolen. Yesugai, Dschingis Khans Vater, wurde von ihnen vergiftet. Daher immer wieder dessen Kriegsparole, daß sie die mongolischen Vorfahren umgebracht hätten. Zusammen mit Dschamucha, dem sie sich angeschlossen hatten, wurden sie von Dschingis Khan ausgerottet (1202).“[3]
Die mongolischen Truppen, die erstmals in den 1220er Jahren unter dem Großkhan Dschingis Khan in Europa einfielen, wurden in manchen Quellen als Ta(r)taren bezeichnet. (Nach dem Tartaros hatte man in Europa tatarische Völker manchmal auch als „Tartaren“ bezeichnet, da man annahm, diese kämen direkt aus der Hölle. Auch die Mongolen unter Dschingis Khan und seinen Nachfolgern wurden später so bezeichnet.) Schon in der Chronica Maiora von Matthäus Paris, der einzigen halbwegs umfassenden europäischen Primärquelle zum mongolischen Reich, wird diese Gleichstellung als ein (vermutlich dem französischen König Ludwig IX. unterlaufener) Irrtum klargestellt.[4][5] Der US-amerikanische Historiker David O. Morgan[6] und der britische Historiker Peter Jackson[7] sehen den Ursprung dieses „Fehlers“ im Versuch westlicher Chronisten, die als besonders grausam angesehenen Mongolen als „aus dem Tartarus stammend“ zu verballhornen. Der österreichische Historiker Johannes Gießauf verweist darauf, dass das Volk der Tataren bereits unter Dschingis Khan fast vollständig von den Mongolen ausgerottet und die geringfügigen Überreste von den Mongolen assimiliert wurden; die Tataren gehörten daher in Wahrheit zu den ersten Opfern der mongolischen Eroberungen, die vom späten 12. Jahrhundert bis ins frühe 16. Jahrhundert dauerten.[8]
Alle heutigen Völker und Volksgruppen, die als Tataren bezeichnet werden, gehen weitestgehend auf die staatstragende Ethnie der Goldenen Horde zurück. Mit dem Zerfall der Goldenen Horde entwickelten sich die einzelnen „tatarischen“ Gruppen kulturell und sprachlich in verschiedene Richtungen. Die isolierte Gruppe der Lipka-Tataren soll dabei kulturell am stärksten Elemente der ursprünglichen gemein-tatarischen Identität bewahrt haben. Die Tataren auf der Krim entwickelten sich im Zuge der Staatsgründung des Khanats der Krim kulturell und sprachlich weitestgehend selbstständig. Als Vasallenstaat des Osmanischen Reiches kam es zu einer kulturellen und sprachlichen Annäherung an die Osmanen der Türkei. Obgleich die Krimtatarische Sprache (Literatursprache und Steppendialekt) zum kiptschakischen Zweig der Turksprachen zählt, weist sie zahlreiche Einflüsse aus dem oghusischen Zweig auf. Der Dialekt der Südküste wird gar komplett dem oghusischen Zweig zugeordnet, was auf die Einwanderung zahlreicher osmanischer Türken zurückzuführen ist. Spätestens mit der Bildung der ASSR Krim 1921 im Zuge der Korenisazija, mit den Krimtataren als der faktischen Titularnation (Krimtatarisch war eine der beiden Staatssprachen), bilden sie eine eigene Nation. Dementsprechend wurden sie in sowjetischen und werden heute in russischen Volkszählungen als eigene Ethnie gelistet. Historisch eng verwandt mit den Krimtataren sind die Dobrudscha-Tataren. Zwischen den ethno-territorialen Gruppen der Wolga-Ural Tataren, Astrachaner Tataren und Sibirischen Tataren kam es im 19. Jahrhundert zu einem Konsolidierungsprozess. Im engeren Sinne werden diese Gruppen heute, vor allem in Russland, als Tataren bezeichnet. In der Republik Tatarstan bilden sie die Titularnation. Die größte Gruppe bilden die Wolga-Ural Tataren. Die Astrachaner Tataren werden häufig mit dem Volk der Nogaier in Verbindung gebracht, aber auch als Nachkömmlinge des Khanats von Astrachan betrachtet. Ab dem 18. Jahrhundert gab es einen starken Zuzug von Tataren aus der mittleren Wolgaregion, dies führte zu einer Vermischung der beiden Gruppen. Bei den Sibirischen Tataren handelt es sich vor allem um Nachkommen des Khanats von Sibir. Sie gliedern sich in verschiedene getrennt voneinander siedelnden Volksgruppen.[9]
(Die Zahlenangaben für Astrachaner, Kasimer und Mischaren beruhen, ausgehend von älteren Zahlen, auf Schätzungen.)
Die Zahl der Tataren war lange Zeit umstritten und diese erhielten nie eine eigene Unionsrepublik, obgleich sie einst im damaligen Staatswappen der UdSSR als eine der sechs Nationen sprachlich vertreten waren.
Bei der Volkszählung in der Sowjetunion (1989) gaben insgesamt 6.648.700 Menschen an, Tataren zu sein. Von diesen lebten in der damaligen Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik 5.552.000. Der tatarische Anteil an der Bevölkerung betrug in der damaligen ASSR Tatarstan (1989) 1.765.400 und in der benachbarten ASSR Baschkiren 1.120.700 Tataren.
Aktuell geht man davon aus, dass sich die Zahl der Tataren weltweit auf etwa 8 Millionen beläuft. Die letzte Volkszählung in Russland (2010) ergab, dass dort 5.310.649 Tataren leben. Unter diesen waren auch 34.822 Kryaschen (Keräschen), 786 Mischaren und 6.779 Sibirische Tataren.[10]
Die eigentlichen Tataren (genannt auch „Turko-Tataren“[11]) werden als Nachfahren einer Vermischung von Wolga-Bulgaren und Kiptschaken mit „Tataro-Mongolen“ (Turkomongolen) angesehen. Ihre eigentliche Geschichte beginnt mit der Goldenen Horde im 13. Jahrhundert. Sie waren die Kernbevölkerung der Khanate (Fürstentümer) von Kasan, Astrachan, Kasimov, Sibir und dem Khanat der Krim.
Nach dem Zerfall der Goldenen Horde des mongolischen Großreichs bildete sich das Khanat Kasan 1437 als erster turko-tatarischer Nachfolgestaat; er wurde jedoch 1552 von Iwan dem Schrecklichen erobert, besetzt und inkorporiert.[12] Schon im 16. Jahrhundert gehörten fast alle Siedlungsgebiete der Tataren zu Russland. Diese Auseinandersetzungen der Tataren von Kasan und der Russen sind als Moskau-Kasan-Kriege bekannt. Als Iwan der Schreckliche Kasan eroberte, gerieten zum ersten Mal größere nichtrussische Territorien in das Moskauer Reich. Kasan kam, weil es die erste eroberte Stadt im Gebiet der Angehörigen eines anderen Glaubens war, eine Schlüsselrolle für die Missionstätigkeit im gesamten russischen Osten zu. Drei Jahre nach der Eroberung wurde es bereits 1555 zum Erzbistum erhoben. Innerhalb der russischen Hierarchie wurde ihm nach Moskau und Nowgorod in der Rangfolge der dritte Platz zuerkannt.
Trotz der Unterstützung durch die gesamte russische Kirche war die Christianisierung bei den Tataren weder erfolgreich noch beständig. Immer wieder kam es zu gewaltsamem Aufbegehren der muslimischen Tataren gegen die massiv geförderte Missionierung. Wirtschaftliche und soziale Privilegien sollten die getauften Tataren (Keräschen) vom Rückfall zum Islam abhalten. 40 Jahre nach der Eroberung Kasans übermittelte Metropolit Germogen dem Zaren Fjodor eine eher negative Bilanz der bisherigen Missionsarbeit. Der Zar ordnete daraufhin 1593 eine härtere Gangart bei der Missionierung an: Grausame Strafen für den Rückfall in den Islam, Umsiedlungen, Zerstörung der Moscheen und andere Maßnahmen sollten die Annahme des Christentums attraktiver machen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Liste der wirtschaftlich-sozialen Benachteiligungen der Muslime und der Privilegien der Getauften ständig erweitert. Eine der weitreichendsten Folgen dieser Politik war die Christianisierung und Russifizierung der tatarischen Oberschicht. Sie waren die Vorfahren eines erheblichen Teils des russischen Adels.
Ende des 18. Jahrhunderts änderte die russische Kaiserin Katharina II. die Politik gegenüber den muslimischen Untertanen des Zarenreiches: Sie versuchte, sie durch Entgegenkommen zu integrieren. Katharina schuf die „Geistliche Versammlung für die Muslime Russlands“ in Orenburg, die direkt unter der Kontrolle der russischen Behörden stand und als oberste Behörde für alle religiösen Belange zuständig war. Im 19. Jahrhundert entstand unter den Tataren die islamische Reformbewegung des Dschadidismus (von arabisch dschadid ‚neu‘), die aufklärerisches Gedankengut auch unter Tataren und Baschkiren des Wolgaraums verbreitete.
Im Jahre 1920 wurde Tatarstan von den sowjetrussisch-kommunistischen Bolschewiki zu einer Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) innerhalb der Sowjetunion ausgerufen.
Im Zweiten Weltkrieg veränderte sich die Bevölkerungsstruktur des Wolga-Ural-Gebietes: Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wurden viele Bewohner der westlichen Gebiete der Sowjetunion in den Ural und das Wolgagebiet evakuiert, sodass Russen, Ukrainer und Belarussen in großer Zahl nach Tatarstan und Baschkirien kamen. 1990 erklärten die Republiken Tatarstan und Baschkortostan ihre Souveränität, und seitdem bemühen sich beide Gebiete, möglichst große Eigenständigkeit zu erlangen, ohne die Russische Föderation ganz zu verlassen.