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Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“, benannt nach dem ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) Ernst Thälmann, war in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) die politische Massenorganisation für Kinder. Ihr gehörten seit den 1960er/1970er Jahren fast alle Schüler vom ersten bis zum siebten Schuljahr als Jung- oder Thälmannpioniere an. Die Pionierorganisation, die der Freien Deutschen Jugend (FDJ) angegliedert war, wurde am 13. Dezember 1948 gegründet und im August 1990 aufgelöst. Vom Gründungstag abgeleitet, wurde der 13. Dezember deshalb in der DDR als Pioniergeburtstag begangen. Die Pionierorganisation der DDR war vollständig nach dem sowjetischen Vorbild der Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin des Komsomol aufgebaut und organisiert. Diese wiederum wurde wesentlich durch die Ideen der Pfadfinderbewegung und das Buch Scouting for Boys von Robert Baden-Powell angeregt.[1]
Die Pionierorganisation war als politische Kinderorganisation und Teil des einheitlichen sozialistischen Schulsystems in der DDR fest in die Schulen integriert. Sie bildete die Vorstufe zur Mitgliedschaft in der FDJ.
Die Organisation stellte stets das Kollektiv in den Mittelpunkt, Individualismus war wenig erwünscht. Das Tragen des Halstuches war in den Schulen an den Tagen mit Fahnenappell und an solchen, an denen sich die Pioniergruppe nach der Schule regelmäßig traf (den Pioniernachmittagen), sowie einigen sozialistischen Feiertagen, wie dem Pioniergeburtstag, mit Nachdruck erwünscht.
Im Juni 1946 wurde auf dem I. Parlament der FDJ beschlossen, Gruppen für Kinder zu gründen. Eine Gründung des Verbandes der Jungen Pioniere erfolgte dann am 13. Dezember 1948, mithin vor Gründung der DDR, auf Grundlage der Beschlüsse der SED. Vorsitzende des Verbandes wurde ab 1949 Margot Feist, die 1953 Erich Honecker heiratete. Vorbild war die sowjetische Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin. Bereits in den Jahren der Weimarer Republik hatte die Kommunistische Partei Deutschlands eine Kinderorganisation namens Jung-Spartakusbund unterhalten.[2]
Die Pioniere der 1. bis 4. Schulklasse (von sechs bis zehn Jahren) zählten zu den Jungpionieren und trugen zu besonderen Anlässen blaue Halstücher.
Die Gebote der Jungpioniere, die auch auf der Pionierausweis genannten Mitgliedskarte standen, lauteten zunächst:
Später wurde das zehnte Gebot um einen Satz ergänzt:
Die Pioniere der 4.–7./8. Klasse (9/10 bis 13/14 Jahre) wurden nach dem KPD-Vorsitzenden Ernst Thälmann Thälmann-Pioniere genannt und trugen zu feierlichen Anlässen bis zum 10. Dezember 1973 ebenfalls ein blaues, ab da schrittweise ein rotes Halstuch. Für sie galten, abgeleitet von den Geboten der Jungpioniere, nun die Gesetze der Thälmann-Pioniere.
Sie legten in den 1960er Jahren das folgende Gelöbnis ab:
„Ernst Thälmann ist unser Vorbild. Als Thälmann-Pionier gelobe ich, so zu leben, zu lernen und zu kämpfen, wie es Ernst Thälmann lehrt, getreu unserem Gruß bin ich: Für Frieden und Sozialismus immer bereit!“
Am Ende der 7. Klasse oder am Anfang der 8. Klasse erfolgte meist die Aufnahme in die Freie Deutsche Jugend (FDJ), damit endete die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation.
Die Mitgliedschaft bei den Jungen Pionieren sowie den Thälmann-Pionieren war formal freiwillig. Andererseits wurde sie seitens des Staates und damit der Schule sowie von vielen Eltern als selbstverständlich angesehen. In der Praxis ging die Initiative für die Aufnahme aller Schüler einer Klasse von der Schule aus. Wie die Mitgliederquote von bis zu 98 Prozent der Schüler (in den späteren Jahren der DDR) zeigt, mussten die Sechs- bzw. Zehnjährigen (oder deren Eltern) von sich aus aktiv werden, um nicht Mitglied zu werden. Dennoch gab es auch Kinder, die nicht Mitglied wurden. Selten wurden auch Schüler wegen schlechter schulischer Leistungen oder schlechten Benehmens „zur Strafe“ nicht aufgenommen oder von der weiteren Mitgliedschaft ausgeschlossen.
Aufnahmetermin war jeweils der 13. Dezember, an dem 1948 die Pionierorganisation gegründet worden war. Dabei wurden Schüler üblicherweise in der ersten Klasse Jungpionier und in der vierten Klasse Thälmann-Pionier. Die Aufnahme war auch in späteren Schuljahren immer noch möglich, jedoch mussten künftige Thälmann-Pioniere ein Jahr Jungpionier gewesen sein.
Die Pionierorganisation war nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus organisiert. Die Organisationsstruktur war bis auf die unterste Ebene jeder einzelnen Schulklasse festgelegt.
Die Pioniere einer Schulklasse bildeten eine Pioniergruppe und wählten einen Gruppenrat. Der Gruppenratsvorsitzende, vergleichbar mit einem Klassensprecher, arbeitete mit den Lehrern und dem Gruppenpionierleiter (ehrenamtliche Funktion, häufig war dies der Lehrer, es konnte aber auch ein FDJler aus den oberen Klassen der Schule sein) zusammen. Weiterhin gab es einen stellvertretenden Gruppenratsvorsitzenden, einen Schriftführer, einen Kassierer, einen Agitator und möglicherweise weitere Mitglieder mit bestimmten Funktionen, wie Wandzeitungsredakteur oder zur Vorbereitung von Sportfesten oder Feiern.
Alle Jung- und Thälmannpioniere jeder polytechnischen Oberschule bildeten eine "Pionierfreundschaft" und wählten einen Freundschaftsrat, vergleichbar mit einer Schülervertretung. Dieser bildete das formale Leitungsgremium und bestand aus einigen Pionieren, die bei einer jährlichen Wahl aus jeder Klasse entsandt wurden. Der Freundschaftsrat wählte einen Freundschaftsratsvorsitzenden. An den Sitzungen des Freundschaftsrats nahm der Freundschaftspionierleiter mit Stimmrecht teil. Dieser war ein hauptamtlicher FDJ-Funktionär, der für das Pionierleben an der Schule organisatorisch und politisch verantwortlich war. Zur Ausbildung der Pionierleiter (an den Instituten für Lehrerbildung oder dem Zentralinstitut der Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ in Droyßig) gehörte auch eine pädagogische Ausbildung, sie unterrichteten daher neben ihrer Pionierleitertätigkeit manchmal auch in geringem Umfang oder wurden als Vertretung eingesetzt.
Die Pionierkleidung bestand aus weißen Blusen und Hemden, die in Sportartikelgeschäften erworben werden konnten. Auf dem linken Ärmel befand sich ein Aufnäher mit dem gestickten Emblem der Pionierorganisation und gegebenenfalls ein Rangabzeichen mit Streifen in der Farbe des Halstuchs. Diese Rangabzeichen waren drei Streifen für Freundschaftsratsvorsitzende, zwei Streifen für Gruppenratsvorsitzende und Freundschaftsratsmitglieder, ein Streifen für alle weiteren Gruppenratsmitglieder. Teilweise wurden auch Symbole für besondere Funktionen an dieser Stelle aufgenäht, zum Beispiel ein rotes Kreuz für einen Jungen Sanitäter. Dazu wurden dunkelblaue Hosen oder Röcke getragen und als Kopfbedeckung diente ein dunkelblaues Käppi mit dem Pionier-Emblem als Kokarde. Anfang der 1970er Jahre kamen noch eine Windjacke/Blouson und eine dunkelrote Freizeitbluse hinzu.
Vollständig wurde die Pionierkleidung allerdings höchstens zu besonderen Anlässen getragen, beispielsweise bei den Fahnenappellen, zu Gedenktagen oder festlichen Schulveranstaltungen, vorgeschrieben war sie jedoch meist nicht.
Ab den 1960er Jahren wurde vielerorts auf die Vorschrift von Hose/Rock verzichtet, auch bezüglich des Käppis lockerte sich die Kleiderordnung. Zu Pioniernachmittagen oder anderen Aktivitäten wurde häufig auch nur das dreieckige Halstuch getragen. Im Unterschied zur Sowjetunion und anderen Ostblockländern war in der DDR ein blaues Halstuch üblich. Erst ab 1973, zum 25-jährigen Bestehen der Organisation, wurde für die Thälmannpioniere das rote Halstuch eingeführt, während die Jungpioniere beim blauen Halstuch blieben. Der Wechsel der Farbe des Halstuches wurde in der Pionierorganisation feierlich gestaltet.
Ab 1988 gab es ein erweitertes Kleidungssortiment, das aus einem Nicki in den Farben Weiß, Hellgelb, Türkis oder Rosa (mit einem Aufdruck des Symbols der Pionierorganisation), einer langen und kurzen Hose mit einem Schnappgürtel sowie für die kälteren Monate einer gefütterten Windjacke in rot für Mädchen und grau für Jungen bestand.
Geeignete Pioniere wurden als Sanitäter ausgebildet; diese trugen nach ihrer Ausbildung das Ansteck-Abzeichen „Junger Sanitäter“.
Die Pioniere hatten eine eigene Losung: „Für Frieden und Sozialismus [zunächst: Völkerfreundschaft]: Seid bereit!“ – Die Antwort der Gruppe war daraufhin: „Immer bereit!“, meist verkürzt auf „Seid bereit! – Immer bereit!“. Ursprung der Losung war der Gruß „Будь готов! – Всегда готов!“ der sowjetischen Pionierorganisation Wladimir Iljitsch Lenin. Der erste Teil dieser Losung wurde nach dem Antreten zum Fahnenappell vom Freundschaftsratsvorsitzenden gerufen und der zweite Teil von allen Pionieren erwidert. Hierbei wurde der rechte Arm gehoben und die flache Hand so über dem Kopf gehalten, dass der Daumen zum Kopf und der kleine Finger zum Himmel zeigte. Manchmal grüßte so auch der Lehrer die Schüler zum Beginn der Unterrichtsstunde, die dann in der oben geschilderten Weise erwiderten, hob aber dabei nicht die Hand zum Gruß.
Zur Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage verwendeten Pioniere in Kinderbüchern und Kinderfilmen oft das Pionierehrenwort. „Ich war das nicht. Pionierehrenwort!“; „Morgen komme ich ganz bestimmt, großes Pionierehrenwort!“.
Als Pionierobjekt wurde ein Objekt bezeichnet, dessen Pflege, Verschönerung oder Erschaffung ein längerfristiger Auftrag für Pioniergruppen war. Dazu zählten Aufträge wie die Pflege von Gedenkstätten und öffentlichen Gärten oder die Mithilfe in sozialen Einrichtungen. Die Pioniere sollten so Verantwortlichkeit gegenüber ihrer Umwelt erlernen, außerdem wurden auf diese Weise Werte gepflegt bzw. geschaffen.[3]
In Berlin an der Wuhlheide befand sich ab 1951 ein Pionierpark mit der darin verkehrenden Pioniereisenbahn, der 1979 mit dem aufwändigen Pionierpalast „Ernst Thälmann“ ergänzt wurde. Hier gab es ein sehr vielseitiges und anspruchsvolles Freizeitangebot, Höhepunkt waren ein „Kosmonautentrainingszentrum“ sowie ein Schwimmbad. Die Anlage existiert heute unter der Bezeichnung Freizeit- und Erholungszentrum (FEZ).
Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) organisierte zahlreiche zentrale Pionierlager (ZPL), die Kindern kostenlose Ferienaufenthalte ermöglichten. Einige zentrale Pionierlager unterhielten auch Austauschprogramme mit anderen Pionierferienlagern im „sozialistischen Ausland“ und einzelne boten zeitweise Kinderreisegruppen meist aus dem gewerkschaftlichen Umfeld aus dem westlichen Ausland freie Kost und Logis. Bevorzugte Länder waren dabei die Bundesrepublik, Italien, Frankreich und Spanien. Die Begegnung mit Kindern aus dem westlichen Ausland stellte für die Kinder aus der DDR einen zusätzlichen Anreiz dar, ihre Ferien in einem Pionierferienlager zu verbringen, da sie so erstmals eine gewisse, wenn auch eingeschränkte „Weltoffenheit“ spürten.
Zum festen Programm in den Pionierferienlagern gehörten neben Spiel und Erholung Rituale wie der Fahnenappell und Gruppennachmittage. Eine wichtige Aufgabe der Pionierferienlager war die Schulung von jungen Führungskräften der Pionierorganisation, wie den Mitgliedern der Gruppenräte.
Von den Pionierlagern zu unterscheiden sind die in großer Anzahl von den volkseigenen Betrieben organisierten Betriebsferienlager. Pionierkleidung wurde dort zumeist nicht getragen (zu profan für „Ehrenkleidung“), es fanden kaum Rituale statt. Trotzdem wurden Bezüge zum Dasein eines Kindes als Pionier hergestellt, z. B. bei touristischen Wettbewerben oder einer ersten Sanitäterausbildung.
Die wirtschaftlichen Belastungen aus dem Betrieb eines Zentralen Pionierlagers übernahmen, durchaus nicht immer freiwillig, große Trägerbetriebe, so die Mathias-Thesen-Werft Wismar für das ZPL Boltenhagen-Tarnewitz oder die Neptunwerft Rostock für das ZPL am Feisnecksee bei Waren an der Müritz. Die Kinder von Mitarbeitern dieser Trägerbetriebe, die oft als ganz normale Ferienlagerkinder in eigenen Feriengruppen anwesend waren, beobachteten mit Staunen das rituelle Treiben im ZPL.
Das ZPL in Einsiedel bei Karl-Marx-Stadt ist Handlungsort des Kinderbuches Die fröhlichen Einsiedler.[5]
Bei der Aufarbeitung von Unterlagen des MfS wurde offenbar, dass die technischen Anlagen, so auch in Einsiedel, bei Unruhen in der DDR zur Internierung von Personen herangezogen werden sollten.
Am 16. Juli 1952 eröffnete der damalige Präsident der DDR, Wilhelm Pieck, das Pionierlager am Werbellinsee. Es war das am besten ausgestattete und größte Pionierlager in der DDR.
Die Pionierrepublik Wilhelm Pieck war ein nach dem Vorbild des sowjetischen Pionierlagers „Artek“ erbautes Pionierlager. Jeweils 1000 Thälmannpioniere konnten mehrere Wochen dort verbringen. In dieser Zeit wohnten sie in den verschiedenen Häusern zusammen mit Pionierleitern, die als Betreuer fungierten. Man traf dort Schüler und Pioniere aus anderen Staaten, arbeitete an Projekten und erhielt – fiel der Aufenthalt nicht in die Ferienzeit – Unterricht. Voraussetzung für die Teilnahme waren herausragende schulische Leistungen, eine „zweifelsfreie“ Gesinnung und möglicherweise auch die SED-Zugehörigkeit der Eltern.
Derzeit befindet sich auf dem Gelände die Europäische Jugenderholungs- und Begegnungsstätte Werbellinsee.
Die Pionierorganisation „Ernst Thälmann“ der DDR war auch Eigner von sogenannten „Pionier-Schiffen“:
Zu zahlreichen Gelegenheiten wurden immer wieder die Lieder der Pioniere gesungen.
Neben den üblichen Pioniernachmittagen fanden auch größere Feste und Veranstaltungen für die Jung- und Thälmann-Pioniere statt. So gab es in unregelmäßigen Abständen von 1952 bis 1988 insgesamt acht zentrale Pioniertreffen in verschiedenen Städten der DDR.
Auf den Pioniertreffen wurden die teilnehmenden Pioniere auf das Vermächtnis Ernst Thälmanns, den Sozialismus und die Sowjetunion eingeschworen. So versprachen auf dem I. Pioniertreffen 1952 rund 60.000 Pioniere in einem Massengelöbnis:[7][8]
„Wir jungen Pioniere, Söhne und Töchter des deutschen Volkes, geloben bei unserer Pionierehre unserem Präsidenten Wilhelm Pieck, daß wir uns stets des Namens Ernst Thälmann würdig erweisen werden, der für das Glück unseres Volk gekämpft und dafür sein Leben gegeben hat. Das geloben wir! (Alle:) Das geloben wir!
Wir geloben, daß wir im Kampf für die Errichtung eines einheitlichen, friedliebenden, demokratischen und unabhängigen Deutschland unsere ganze Kraft einsetzen werden. Das geloben wir! Wir geloben, stets unerschrocken für den Sieg des Sozialismus in unserem Lande einzutreten. (Alle:) Das geloben wir!
Wir geloben, die Freundschaft mit der Sowjetunion zu pflegen und zu hüten so wie Ernst Thälmann und Wilhelm Pieck. (Alle:) Das geloben wir!
Wir versprechen, vorbildlich zu leben und zu lernen, um würdige Bürger unserer Deutschen Demokratischen Republik zu werden! (Alle:) Das geloben wir!“
Briefmarken zur Pionierorganisation und zu den zentralen Pioniertreffen