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Dieser Artikel beschäftigt sich mit dem Komponisten Kurt Weill. Für den schweizerischen Jazzmusiker siehe Kurt Weil.
Im Alter von fünf Jahren begann Kurt Weill mit dem Klavierspiel. Bereits im jugendlichen Alter entstanden erste Kompositionen. Er besuchte die Oberrealschule in Dessau und glänzte dort vor allem mit seinen musikalischen Fähigkeiten. Noch nicht 18 Jahre, begleitete er bereits eine Dessauer Opernsängerin am Klavier bei Liederabenden, wobei er auch erste eigene Lieder zum Besten gab.
Karriere in Deutschland
Kurt Weill begann 1918 mit dem Studium der Musik an der Hochschule für Musik in Berlin. 1920 folgte dann ein Engagement als Kapellmeister am Stadttheater Lüdenscheid. Maßgebend für sein späteres Schaffen, insbesondere seine Opernästhetik, wurde die Zeit als Schüler Ferruccio Busonis. In seinen frühen Opernprojekten ab 1925 nutzte Weill Libretti von Georg Kaiser und Yvan Goll.
1927 begann er mit Bertolt Brecht zusammenzuarbeiten, woraus 1928 Die Dreigroschenoper entstand. Weill hatte schon vor 1927 Einflüsse zeitgenössischer Tanzmusik verarbeitet, unter anderem in der OperRoyal Palace. Davon und besonders vom Jazz-Stil eines Paul Whiteman ist auch der ab 1927 entwickelte sogenannte „Songstil“ Weills sehr stark geprägt. Am prägnantesten wird diese Stilistik in der Dreigroschenoper und in Happy End angewandt. Parallel dazu nutzte er auch eine neoklassische beziehungsweise neobarocke musikalische Sprache, so zum Beispiel in der Ouvertüre zur Dreigroschenoper, in der Hurrikanszene von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny und vor allem durchgängig in der Oper Die Bürgschaft.
Seine Musik löste besonders unter Komponisten ein geteiltes Echo aus. Während die Dreigroschenoper überaus populär wurde, lehnten Komponistenkollegen wie Arnold Schönberg und Anton Webern sie vollkommen ab. Andere wie Alban Berg, Theodor W. Adorno und Alexander Zemlinsky zeigten jedoch großes Interesse an den Arbeiten Weills. Berg besuchte eine Aufführung von Mahagonny, und Zemlinsky setzte sich als Dirigent für das Quodlibet opus 9 (1923) und Mahagonny (1930) ein. 1924 wurde sein Frauentanz opus 10, 1926 sein Violinkonzert opus 12 bei den Weltmusiktagen der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik (ISCM World Music Days) in Salzburg respektive in Zürich aufgeführt.[5][6]
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland Anfang 1933 reichte Lenya in Charlottenburg die Scheidung ein. Die Gründe dafür dürften einerseits in der Affäre zwischen Lenya und dem Tenor Otto Pasetti liegen – die beiden hatten sich bei der Inszenierung von Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny kennengelernt –, andererseits zeichnete sich bereits für Kurt Weill die Flucht aus Deutschland ab. Die Scheidung ermöglichte Lenya, Weills Besitztümer wenigstens teilweise vor der Konfiszierung durch die Nazis zu retten.
1935 emigrierten Weill und Lenya gemeinsam in die USA. Sie verließen Europa Anfang September 1935 von Cherbourg aus und reisten mit der Majestic nach New York, wo sie am 10. September eintrafen. Am 19. Januar 1937 heirateten beide im Standesamt von North Castle im Westchester County bei New York erneut.
Ein Hauptwerk der frühen Exilzeit ist Der Weg der Verheißung beziehungsweise The Eternal Road, ein Bibelspiel, das die Geschichte des jüdischen Volkes darstellt. Es ist eine Mischung aus Schauspiel, Liturgie und Oper.
In den 1940er Jahren hatte Weill dann großen Erfolg am Broadway mit verschiedenen Musicals, so mit Lady in the Dark über die Psychoanalyse mit Traumsequenzen, das am 23. Januar 1941 zur Uraufführung kam. Infolge der sehr guten Einnahmen kaufte er sich am 21. Mai 1941 das Brook House in New City, South Mountain Road, etwa eine Autostunde von New York entfernt.[7] Dort hatte er fortan seinen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt. Sein unmittelbarer Nachbar war der Dramatiker Maxwell Anderson, daneben lebten zahlreiche weitere Künstler in New City.
Am 27. August 1943 erhielten Weill und Lotte Lenya die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im selben Jahr wurde Ben Hechts Stück We will never die über die Shoa uraufgeführt, zu dem er die Musik schrieb.
Bemerkenswerte Werke aus Weills letzter Schaffensperiode sind die „amerikanische Oper“ Street Scene, die eine Synthese zwischen europäischer Oper (die Puccini-Einflüsse sind unüberhörbar) und amerikanischem Musical darstellt, und die „musikalische Tragödie“ Lost in the Stars, die die südafrikanischeApartheid thematisiert und musikalisch mit afrikanisierenden Stilmitteln arbeitet. Im Februar 1950 begann Weill gemeinsam mit Maxwell Anderson an den Arbeiten zu einem Musical nach Mark TwainsHuckleberry Finn. Die geplante Musical Comedy blieb jedoch unvollendet.
Tod
Weill erkrankte im März 1950 schwer, wurde am 19. März in das Flower Hospital in New York City eingeliefert und starb dort am 3. April 1950 an den Folgen eines Herzinfarkts.
A bird of passage out of night
Flies in at a lighted door,
Flies through and on in its darkened flight
And then is seen no more.
This is the life of men on earth
Out of darkness we come at birth
Into a lamp-lit room, and then
Go forward into dark again.
Weills Einstellung zu seiner Nationalität 1947
Als Kurt Weill 1947 vom Magazin Life als deutscher Komponist bezeichnet wurde, protestierte Weill in einem Leserbrief:
„Obgleich ich in Deutschland geboren bin, bezeichne ich mich nicht als ‚deutschen Komponisten‘. Die Nazis haben mich eindeutig nicht als solchen bezeichnet, und ich verließ ihr Land 1933 […] Ich bin amerikanischer Staatsbürger, während meiner zwölf Jahre in diesem Land habe ich ausschließlich für die amerikanische Bühne komponiert […] Ich würde es begrüßen, wenn Sie Ihre Leser auf diese Tatsache hinweisen könnten.“[9]
Bedeutung und Rezeption
Kurt Weills Name ist zumindest im deutschsprachigen Raum untrennbar mit Bertolt Brecht verbunden und steht oft im Schatten des Dichters. Schon zu Lebzeiten musste Weill sich immer wieder diesbezüglich verteidigen. In einem Interview 1934 sagte er zu einem dänischen Journalisten, der ihn zu den gemeinsamen Werken mit Brecht befragte: „Das klingt ja fast, als glaubten Sie, Brecht habe meine Musik komponiert … Brecht ist ein Genie; aber für die Musik in unseren gemeinsamen Werken, dafür trage ich allein die Verantwortung.“[10]
Weill verfügte über eine kontrastreiche Musiksprache, die in den jeweiligen Ländern seiner Lebensstationen – Deutschland, Frankreich, USA – ihre eigene Prägung annahm. Sie erstaunte durch eine Vielseitigkeit, in der Avantgarde und Assimilation miteinander verbunden sind. Jazz-Standards wie beispielsweise Speak Low oder September Song und der französische Tango Youkali stammen aus Weills Feder. Interpreten wie Louis Armstrong, Ella Fitzgerald, Frank Sinatra oder auch Nick Cave, Elvis Costello und The Doors interpretierten seine Stücke in ihrer Zeit.
Der afroamerikanische Dichter Langston Hughes, der die Songtexte für Street Scene schrieb, sagte über Weill: „Wäre er nach Indien eingewandert und nicht in die Vereinigten Staaten von Amerika, hätte er, wie ich fest glaube, wundervolle indische Musik geschrieben.[11] (…) Darum kann Deutschland Weill als Deutschen, Frankreich ihn als Franzosen, Amerika ihn als Amerikaner und ich ihn als Schwarzen ausgeben.“[12]
Bernd Göbel: Kurt-Weill-Denkmal (Bronze, 1984; seit 1987 auf dem Lidice-Platz Dessau)[14]
Gedenken und Ehrungen
Weills Ehefrau Lenya stiftete 1962 die Kurt Weill Foundation for Music (KWF) mit Sitz in New York. Die KWF vergibt den Kurt-Weill-Preis, veranstaltet den Lotte-Lenya-Wettbewerb, betreibt das Weill-Lenya-Studienzentrum, veröffentlicht die Kurt Weill Edition und den Kurt Weill Newsletter und kehrt Stipendien aus.[15]
Alljährlich findet um den 2. März, Weills Geburtstag, in Dessau das Kurt-Weill-Fest statt. Dieses dauert in der Regel siebzehn Tage. Es wird durch das Land Sachsen-Anhalt und die Stadt Dessau-Roßlau gefördert.[16] Zu den Veranstaltungen gehören Ausstellungen, Vorträge und musikalische Darbietungen im Bereich Oper, Jazz, Tanz, Klassik und zeitgenössische Neue Musik.
In Berlin erinnert seit September 2013 eine Gedenktafel an der Fassade des Grips-Theaters im Hansaviertel an Kurt Weill; angeregt hatte dies die Kurt-Weill-Gesellschaft. Weill hatte dort im Sommersemester 1919 als Musikstudent in einem Gartenhaus gewohnt. Es wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Eine Kurt-Weill-Straße gibt es unter anderem in Adendorf, Bad Kreuznach, Dessau-Roßlau, Grevenbroich, Leipzig, in Neuenburg am Rhein, Neuwied und Rösrath sowie als Kurt Weillstraat in Rotterdam.
In Berlin-Hellersdorf wurde 2013 ein Kurt-Weill-Platz gestaltet (Gabriele Wilheim-Stemberger), der mit künstlerischen Elementen von Sabine Nier an Stationen des Lebens von Kurt Weill und an einige bekannte Werke erinnert.[17]
Im Jahr 2000 hat die Deutsche Post eine Briefmarke zum 100. Geburtstag von Kurt Weill herausgegeben.
1928: Das Berliner Requiem, Kleine Kantate für Tenor, Bariton, Männerchor (oder drei Männerstimmen) und Blasorchester (Text: Bertolt Brecht)
1929: Der Lindberghflug, Kantate für Tenor, Bariton und Bass-Solisten, Chor und Orchester (Text: Bertolt Brecht, erste Fassung mit Musik von Paul Hindemith und Weill, zweite Fassung, ebenfalls 1929, mit Musik ausschließlich von Weill)
1925: Klopslied, für hohe Stimme, zwei Piccoloflöten und Fagott (‚Ick sitze da un’ esse Klops‘/Berliner Lied)
1927: Vom Tod im Wald, Ballade für Bass und zehn Bläser op. 23 (Bertolt Brecht)
1928: Berlin im Licht-Song, slow-fox, Text: Kurt Weill; komponiert für die Ausstellung Berlin im Licht, über die neuesten Beleuchtungstechniken; Uraufführungen im Wittenbergplatz (Orchester) am 13. Oktober, und am 16. Oktober in der Krolloper (Stimme und Klavier), gesungen von Trude Hesterberg[21][22]
1942–44: Propaganda Songs, für Stimme und Klavier; im Rahmen der Lunch Hours Follies für die Arbeiter einer Schiffbauwerkstatt in New York uraufgeführt, dann im Rundfunk gesendet; und zwar:
Songs, The Seven Deadly Sins + Happy End, Lotte Lenya (rec. 1957+60 CBS), (1988 Columbia)
Lotte Lenya sings Kurt Weill’s, The Seven Deadly Sins & Berlin Theatre Songs (Sony 1997)
The Threepenny Opera, Lotte Lenya and Others, conducted by Wilhelm Brückner-Ruggeberg (Columbia 1987)
Rise and Fall of the City of Mahagonny, Lotte Lenya/ Wilhelm Brückner-Rüggeberg (Sony 1990)
Die Dreigroschenoper, René Kollo, Ute Lemper, Milva, RIAS Kammerchor und RIAS Berlin Sinfonietta/John Mauceri (Decca 1990)
Berliner Requiem/Violin Concerto op.12/Vom Tod im Wald, Ensemble Musique Oblique/Philippe Herreweghe (Harmonia Mundi, 1997)
Kleine Dreigroschenmusik/Mahagonny Songspiel/Happy End/Berliner Requiem/Violin Concerto op.12, London Sinfonietta, David Atherton (Deutsche Grammophon, 1999)
Eternal Road (Highlights), Berliner Rundfunk-Sinfonie-Orchester/Gerard Schwarz (Naxos, 2003)
Symphonies No.1 and No.2/ Lady in the Dark, Symphonie Nocturne, Bournemouth Symphony Orchestra/Marin Alsop (Naxos, 2005)
Speak Low, Songs by Kurt Weill & the Seven Deadly Sins – Die Sieben Todsünden, Anne Sofie von Otter: Mezzosopran, Bengt Forsberg: Piano; NDR-Sinfonieorchester: John Eliot Gardiner (Deutsche Grammophone, 1994)
Kurt Weill, Berlin & American Theater Songs. Compilation, (CBS-Rec. 1988)
Slut. Songs aus Die Dreigroschenoper (Virgin, 2006). Obwohl Slut dreizehn Lieder aus der Dreigroschenoper aufgenommen haben, erlauben die Nachlassverwalter Kurt Weills die Veröffentlichung von lediglich fünf Stücken.
Tom Waits. What Keeps Mankind Alive Orphans (ANTI, 2006) „Bastards“ disc 3,1.
Mona Mur & En Esch. 120 Tage – The Fine Art of Beauty and Violence (PALE MUSIC Int.2009). Beinhaltet Surabaya Johnny, Song von Mandelay, Die Ballade vom ertrunkenen Mädchen
1986: Teresa Stratas. Stratas sings Weill, mit dem Y Chamber Symphony Orchestra (Conductor: Gerard Schwarz); Elektra Asylum/Nonesuch Record 7559-79131-2
Literatur
Kim H. Kowalke, Horst Edler (Hrsg.): A Stranger here myself. Kurt Weill Studien. Olms, Hildesheim 1993, ISBN 3-487-09722-2 (Haskala 8).
David Farneth, Elmar Juchem, David Stein (Hrsg.): Kurt Weill. Ein Leben in Bildern und Dokumenten, Ullstein, Berlin 2000, ISBN 3-89834-004-X.
Jürgen Schebera (Hrsg.): Weill. Eine Biographie in Texten, Bildern und Dokumenten. Schott, Mainz 1990, ISBN 3-7957-0208-9.
Joseph A. Kruse (Hrsg.): Vom Kurfürstendamm zum Broadway: Kurt Weill (1900–1950). Droste Verlag, Düsseldorf 1990, ISBN 3-7700-0879-0.
Peter Petersen: Der Weg der Verheißung von Weill / Werfel / Reinhardt und Hagadah shel Pessach von Dessau / Brod – ein Vergleich. In: Musiktheater im Exil der NS-Zeit. von Bockel, Hamburg 2007, S. 340–370.
Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 8: T – Z. David Tomlinson – Theo Zwierski. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 303 f.
Kay Weniger: ‘Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben …‘. Lexikon der aus Deutschland und Österreich emigrierten Filmschaffenden 1933 bis 1945. Eine Gesamtübersicht. ACABUS-Verlag, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86282-049-8, S. 528 f.
Stephen Hinton: Kurt Weills Musiktheater : vom Songspiel zur American Opera. Suhrkamp, Frankfurt/M. 2023, ISBN 978-3-633-54325-0.
↑Kurt Weill Fest Dessau GmbH: Über Kurt Weill. Abschnitt: Im Gespräch mit Dr. Jürgen Schebera: "In der Nacht des Reichstagsbrands aber wird er von einem Journalisten gewarnt, dass auch er bereits auf der schwarzen Liste der Nazis stünde, woraufhin er nach Frankreich flieht." Abruf am 17. Februar 2021.
↑David Farneth: Kurt Weill. Ein Leben in Bildern und Dokumenten. Ullstein, München 2000.
↑Life, 17. März 1947, S. 17; (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): “Although I was born in Germany, I do not consider myself a ‘German composer.’ The Nazis obviously did not consider me as such either and I left their country (an arrangement which suited both me and my rulers admirably) in 1933. I am an American citizen and during my dozen years in this country have composed exclusively for the American stage […]”.
↑Zitiert nach Kurt Weill: Musik und Theater. Gesammelte Schriften: Mit einer Auswahl von Gesprächen und Interviews, herausgegeben von Stephen Hinton und Jürgen Schebera, Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1990, Seite 315.
↑“Had he immigrated to India instead of the United States of America, I believe he would have written wonderful Indian musical plays, and re-created realistic Indian children’s games. Only the universal men and universal artists could do this.” Zitiert nach The Collected Works of Langston Hughes, hrsg. von Christopher De Santis, Columbia: University of Missouri Press, 2002, S. 349; zugleich auch Essays on Art, Race, Politics, and Word Affairs, Bd. 9.
↑“That is why Germany can claim Kurt Weill as German, France as French, American [sic!] as American, and I as a Negro.” Zitiert nach The Collected Works of Langston Hughes, hrsg. von Christopher De Santis, Columbia: University of Missouri Press, 2002, S. 350; zugleich auch Essays on Art, Race, Politics, and Word Affairs, Bd. 9.
↑Festakt mit Olaf Scholz: Neue Synagoge in Dessau eröffnet. In: Der Spiegel. 22. Oktober 2023, ISSN2195-1349 (spiegel.de [abgerufen am 22. Oktober 2023]).