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Ernst Vollrath (* 25. Januar 1932 in Wevelinghoven; † 30. Januar 2004 in Bochum) war ein deutscher politischer Philosoph. Er setzte sich ab Anfang der 1970er Jahre hauptsächlich mit den Werken Hannah Arendts (1906–1975) auseinander und entwickelte auf dieser Grundlage eine Theorie des Politischen.[1]
Ernst Vollrath wurde nach dem Studium der Philosophie in Freiburg 1959 in Köln mit Studien zur Kategorienlehre des Aristoteles zum Dr. phil. promoviert.[2] Von 1966 bis 1968 lehrte er als Professeur Titulaire an der Universität Dakar im Senegal.[3] Die Habilitation erfolgte 1969 in Köln.[4]
1970 lernte er Hannah Arendt persönlich kennen – die beiden standen anschließend im Briefwechsel miteinander[5] – und befasste sich seitdem hauptsächlich mit ihrem Denken. 1971 erschien sein Artikel Politik und Metaphysik: Zum politischen Denken von Hannah Arendt. Schon darin machte er deutlich, dass er die philosophischen und politischen Konzepte Arendts teilte. Er spricht hier wie auch in späteren Veröffentlichungen von Arendts „Phänomenologie des Politischen“.[6]
Ab Anfang der 1970er Jahre setzte sich Arendt dafür ein, dass Vollrath ab 1973 an der New School for Social Research in New York politische Theorie im Bereich der Philosophie unterrichten konnte. Darüber hinaus nahm er auch an Arendts Seminaren an dieser Hochschule teil. 1972 besuchte Vollrath zusammen mit Hannah Arendt eine Konferenz in Toronto, deren Protokoll veröffentlicht wurde.[7][8]
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1976 wurde er Professor für Philosophie an der Universität Köln.
1977 erschien sein Werk Die Rekonstruktion der politischen Urteilskraft, 1987 die Grundlegung einer philosophischen Theorie des Politischen.
Auch nach seiner Emeritierung 1999 beschäftigte er sich weiterhin mit Hannah Arendt. Er war somit einer der ganz wenigen Wissenschaftler, die frühe Forschungsberichte über Arendt vorzuweisen haben. Arendt wurde in der west- und ostdeutschen akademischen und politischen Diskussion kaum rezipiert, die wenigen Bezüge waren zumeist negativ konnotiert.
2001 wurde Vollrath gemeinsam mit Daniel Cohn-Bendit mit dem Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken ausgezeichnet. Die Festrede hielt die Vorsitzende des Hannah-Arendt-Zentrums Oldenburg, Antonia Grunenberg.[9]
2003 erschien das letzte seiner Hauptwerke, in denen er eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung (in Vollraths Terminologie: „Apperzeption“) entwickelte, Was ist das Politische? Eine Theorie des Politischen und seiner Wahrnehmung,
Bis zuletzt an Diskursen über Hannah Arendt beteiligt, die in der Zwischenzeit in Deutschland mehr und mehr an Bedeutung gewonnen hatte, starb er im Jahre 2004 im Alter von 72 Jahren.
Seine Grabstätte befindet sich auf dem Kölner Friedhof Melaten (Lit. D, zwischen HWG und Lit. H).
Für Benedikt Haller in seiner Rezension in der Zeitschrift für philosophische Forschung lautet Vollraths These, das Phänomen des Politischen in seiner Konstitution unterstehe dem praktischen Prinzip des konkreten Handelns einer Pluralität von Menschen und einer Vielfalt von Meinungen. Dazu stehe das abstrakte Prinzip der meisten bisherigen wahrheitsorientierten Politik-Theorien, „Selbstidentität und Selbstidentifikation“ in schroffem Gegensatz. Politik auf vermeintliche Wahrheit und identitäre Vernunft gründen wollen, bedeute politisch ruinösen Despotismus, auch wenn diese Wahrheit als der permanenten Kritik ausgesetzt betrachtet werde. Das politisch Mögliche sei kein Gegenstand des Wissens, sondern durch kluge Urteilskraft immer erst zu finden. Politik sei „öffentliches, gemeinsames und freies Handeln“. Dieses Handeln müsse phänomenal mit Hannah Arendt als subjektives, kontingentes und spontanes „Anfangenkönnen“ verstanden werden, das keine fremde gesetzmäßige Ursächlichkeit habe und daher auch nicht abgeleitet werden könne. Kants subjektive Allgemeinheit des ästhetischen Geschmacks-Urteils aus der reflektierenden Urteilskraft sei auch für das politische Meinen und Handeln bestimmend. Die Maxime der Urteilskraft sei, „sich (in der Mitteilung mit Menschen) in die Stelle jedes anderen zu denken“. Den „politischen Imperativ“ formuliere Vollrath entsprechend: „Handle so, dass durch Dein Handeln anderes Handeln (Deiner selbst und aller anderen) jederzeit möglich ist.“[10]
Volker Gerhardt bescheinigt Vollrath, aus den Anregungen und den Vorarbeiten Hannah Arendts, die selbst eine Veröffentlichung über die politische Urteilskraft plante, „eine vor allem historisch gut illustrierte Konzeption“ gemacht zu haben, in der das politische Denken ähnlich wie bei Christian Meier auf die Polis und Aristoteles’ Tugendlehre zurückgeführt wird. Alles Politische sei letztlich auf nichts anderes als auf die Leistungen der menschlichen Urteilskraft, eine besondere Form der Klugheit, zu gründen, auf die Fähigkeit des Individuums, sich an die Stelle anderer Individuen zu versetzen, also mit ihnen kommunikativ zu interagieren.
Eben diese Fähigkeit zeige sich in dem auf Mitteilung angelegten Urteil, das ja nur insoweit verstanden werden kann, als auch die Position des anderen verständlich ist. Gedanklicher Nachvollzug der Position des jeweils anderen ist somit die Elementarbedingung einer jeden Kommunikation. Da Kommunikation immer auch als soziale Interaktion begriffen werden kann, ist der im Urteil stets schon vollzogene Standpunktwechsel die Grundvoraussetzung alles sozialen Handeln.
Dieser Standpunktwechsel geschehe immer im Bewusstsein einer „elementaren Gemeinsamkeit mit dem jeweils anderen“. In jedem Urteil sei damit die Idee einer „Gemeinschaft selbständiger Individuen“ immer schon „praktisch wirksam“. Vollrath grenzt diesen Gebrauch der Vernunft von szientifischen Verengungen ab, die zu einer Entpolitisierung des Politischen geführt hätten. Über die Verortung im Altertum hinaus analysiert Vollrath das Vermögen des sensus communis im Anschluss an Kants Kritik der Urteilskraft systematisch als die besonders in der Neuzeit notwendige neue Klugheit, bei der das früher lediglich auf die Objekterkenntnis bezogene Kriterium der Intersubjektivität im Medium der Interpersonalität überwunden wird. An die Stelle bloß begrifflicher Allgemeinheit trete die „ganzheitliche Universalität, die sich im wechselseitigen Nachvollzug der Positionen der jeweils anderen Personen ergibt.“
Wirklich allgemein kann hier nur werden, was sich im praktischen Urteil als Gemeingut erweist. Das Erkannte ist zugleich das Anerkannte.[11]
Er war mit der Historikerin Hanna Vollrath verheiratet.
„Es ist Hannah Arendt gelungen, den Typ des Wissens und der vernunfthaften weltlichen Rationalität wenigstens im Ansatz zu bestimmen, der dem kontingenten, optionalen, weltlichen, gegenhandelnden, alles zusammengehörige Charaktere, Phänomen des Politischen angemessen ist. ... In der reflektierenden Urteilskraft ... ist ein Vermögen entdeckt, welches nicht nach vorgegebenen Begriffen verfährt, sondern den begrifflichen Horizont für sein Urteilen von ihm selbst her, von seiner reflektierenden Tätigkeit her, entwirft und so den begrifflichen Horizont selbst schafft. ... Die reflektierende Urteilskraft ist der Typus der neuen Wahrnehmung des Politischen“
– Ernst Vollrath: Was ist das Politische?[12]
Personendaten | |
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NAME | Vollrath, Ernst |
ALTERNATIVNAMEN | Vollrath, Gottfried Ernst (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher politischer Philosoph |
GEBURTSDATUM | 25. Januar 1932 |
GEBURTSORT | Wevelinghoven |
STERBEDATUM | 30. Januar 2004 |
STERBEORT | Bochum |