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Dieser Artikel befasst sich mit dem Ort Ypern. Zu Personen siehe Johannes von Ypern.
Balduin II. der Kahle (879–918) befestigte das zur Grafschaft Flandern gehörende Ypern zur Abwehr gegen die Normannen. Ypern gehörte im späten Mittelalter mit Gent und Brügge zu den bedeutendsten Städten Flanderns, war Mitglied der flämischen Hanse und insbesondere durch den Tuchhandel bedeutend geworden. Um das Jahr 1300 hatte Ypern etwa 20.000 Einwohner. Kurz danach war der Arzt und Verfasser eines chirurgische Lehrbuchs Jan Yperman (auch Jehan Yperman; † um 1330[1]) geschworener Wundarzt der Stadt und am Belle-Siechenhaus tätig.[2] 1559 bis 1801 war Ypern Bischofssitz.
Am 4. November 1914 ließ der deutsche General Berthold von Deimling ohne militärischen Grund und gegen die ausdrückliche Weisung seines Oberbefehlshabers Kronprinz Rupprecht von Bayern die berühmten mittelalterlichen Tuchhallen von Ypern in Schutt und Asche legen.
Deutsche Truppen versuchten mehrmals, die Stadt einzunehmen; dabei wurden sie (November 1914 und April 1915) zurückgeschlagen. Am 22. April 1915 setzten deutsche Truppen zum ersten Mal Chlorgas ein.
„London, 27. April. „Daily Chronicle“ meldet aus Nordfrankreich folgende Einzelheiten über die Anwendung giftiger Gase durch die Deutschen: Am 22. d. M. um 5 Uhr nachmittags sahen französische Soldaten in den vordersten Laufgräben zwischen Langemarck und Knocks [= Fort Knokke] dichten gelben Rauch aus den deutschen Schützengräben aufsteigen und sich langsam gegen die französischen Stellungen bewegen. Der Nordostwind bewirkte, daß der Rauch wie ein Teppich über die Erde breitete, die er in einer Höhe von 16 Fuß bedeckte. Die Deutschen wendeten starke Flaschen mit komprimiertem Gase an, die mit Hähnen versehen waren und geöffnet wurden, sobald der Wind auf die feindlichen Gräben stand. Die Anwendung von Gasen kam den Franzosen überraschend. Viele unter ihnen wurden vergiftet und starben. Einigen glückte es, zu entweichen, aber sie wurden kurz darauf ganz schwarz im Gesichte, husteten Blut und fielen tot um. Die Wirkungen des Gases wurden an der Front in einer Breite von sechs Kilometern und einer Tiefe von zwei Kilometern bemerkt. Eine Viertelstunde später rückten die Deutschen aus den Schützengräben vor, voran Soldaten mit Sicherheitshelmen, um sich zu vergewissern, ob sie die Luft atmen könnten. Da sich das Gas nunmehr verteilte, rückten große Scharen Deutscher vor.“
Am 12. Juli 1917 testeten deutsche Truppen – wieder bei Ypern – erstmals Senfgas. Es wurde von vielen Soldaten auch Yperit genannt.[4] „Yperit“ ist in Frankreich bis heute auch ein Synonym für „Giftgas“.
Die Stadt wurde bis zum Ende des „Großen Krieges“ von den Alliierten gehalten; bei Ypern kämpften vor allem Soldaten aus dem Britischen Empire. Zur Erinnerung an dort bestattete Gefallene und daran, dass Ypern deutscher Besetzung standhielt, ertönt seit 1929 – mit Ausnahme der Zeit deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg – jeden Abend an der Gedenkstätte Menenpoort um Punkt acht Uhr The Last Post.[5]
Ypern 1915
Ypern 1917
Luftbild der kriegszerstörten Altstadt Ypern, 1917
Diorama mit britischen Soldaten im Museum In Flanders Fields
Geschütz im Museum In Flanders Fields
Wiederaufbau
Nach dem Krieg wurde die stark zerstörte Stadt (trotz des Wunsches Winston Churchills, die Ruinen als Denkmal bestehen zu lassen) wieder aufgebaut. Die wichtigsten Bauten, wie die Stadtkirche und die Tuchhalle, wurden originalgetreu rekonstruiert, die meisten anderen Häuser aber ganz unabhängig von den Vorgängerbauten frei historisierend neu errichtet.[6] Historisches Bewusstsein und Erinnerungen haben seitdem viel Platz in der Geschichtsschreibung und Kultur der Stadt. In der Umgebung von Ypern befinden sich zahlreiche Soldatenfriedhöfe.
Ypern selbst ist von einem gigantischen Stollennetz durchzogen, das im Ersten Weltkrieg von Arbeitern angelegt und in Teilen erst 2009 wiederentdeckt wurde.[7]
Zweiter Weltkrieg
Im Zweiten Weltkrieg fanden im Gebiet um Ypern während des deutschen Westfeldzugs erneut schwere Kämpfe statt. Nach dem Rückzug der British Expeditionary Force nach Dünkirchen und nach der Kapitulation der belgischen Armee am 28. Mai 1940 wurde es am Folgetag kampflos von Truppen der Wehrmacht besetzt.
Anfang Juni, noch während der Schlacht von Dünkirchen, besuchte Adolf Hitler Ypern und die umliegenden Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs auf einer Propagandareise.[8]
Ypern wurde im September 1944 von vorrückenden westalliierten Truppen befreit.
Lakenhal (Tuchhallen, Gewandhaus), einer der größten profanen gotischen Gebäudekomplexe Europas mit einem 70 Meter hohen Belfried, der zum UNESCO-Welterbe gehört und ein 49-teiliges Glockenspiel enthält. In dem Gebäude ist das mehrfach ausgezeichnete Museum In Flanders Fields untergebracht – eine interaktive Ausstellung von Erlebnisberichten über das Schlachtfeld bei Ypern. Ebenfalls in der Lakenhal befindet sich das 2018 neu eröffnete interaktive Ieper-Museum, das die Geschichte der alten Handelsstadt außerhalb des Ersten Weltkrieges behandelt[9]
nahe dem Menenpoort am Wall steht ein markantes Baumdenkmal, eine Edelkastanie (Castanea sativa L.) ⊙50.852432.89063, welche 2021 Belgien beim Wettbewerb Europäischer Baum des Jahres[10] vertrat
Der Bellewaerde Park ist ein Tier- und Vergnügungspark und der älteste Freizeitpark in Belgien. Der über 50 Hektar große Park liegt etwas außerhalb von Ypern, in dem 6 km weit entfernten Dorf Hooge.
Wirtschaft
Die Stadt lebt vom Handel und vom Tourismus. Zudem haben sich kleine und mittlere Industrieunternehmen in Ypern angesiedelt.
Koen Baert: Ieper. De herrezen stad. De wederopbouw van Ieper na 1918. De Klaproos, Brugge 1998 [über den historisierenden Wiederaufbau der Stadt nach dem Ersten Weltkrieg].
Weblinks
Commons: Ypern – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
↑Paul Diepgen, Heinz Goerke: Aschoff/Diepgen/Goerke: Kurze Übersichtstabelle zur Geschichte der Medizin. 7., neubearbeitete Auflage. Springer, Berlin/Göttingen/Heidelberg 1960, S. 20.
↑Gundolf Keil: Yperman, Jan (Jehan, Johan Y., Ieperman). In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2005, S. 1513–1514.
↑R. Hanslian: Der deutsche Gasangriff bei Ypern am 22. April 1915. Eine kriegsgeschichtliche Studie. Berlin: Verlag Gasschutz und Luftschutz, 1934
↑Tobias Müller: Sechs Hörner gegen das Vergessen. In: Die Tageszeitung: taz. 9. November 2019, ISSN0931-9085, S.32–33 ePaper,Alle,Nord 34–35 Berlin ([1] [abgerufen am 11. November 2019]).
↑Koen Baert: Ieper. De herrezen stad. De wederopbouw van Ieper na 1918. De Klaproos, Brugge 1998.
↑Gundolf Keil: Yperman, Jan (Jehan, Johan Y., Ieperman). 2005
↑Gundolf Keil: „blutken – bloedekijn“. Anmerkungen zur Ätiologie der Hyposphagma-Genese im ‚Pommersfelder schlesischen Augenbüchlein‘ (1. Drittel des 15. Jahrhunderts). Mit einer Übersicht über die augenheilkundlichen Texte des deutschen Mittelalters. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, S. 7–175, hier: S. 23 f. und 32.
↑Roger-A. Blondeau: Jan Yperman, vader van de Vlaamse heelkunde (ca. 1275–1331). Ypern 2005.
↑Evert Cornelis van Leersum (Hrsg.): De cyrurgie van Meester Jan. Leiden 1912.